Cash
Mullins am Tag bereits vorgewarnt, dass Anderson seine Ausgangszeit großzügig auszulegen pflegte; als er abends um Viertel nach neun, fünfzehn Minuten zu spät, endlich nach Hause zu seiner Mutter in die Lemlich-Siedlung kam, warteten Matty, Yolonda und Mullins bereits auf ihn. Sie saßen im Wohnzimmer auf Stühlen aus der Essecke, im Halbkreis wie ein provisorisches Tribunal. Seine Mutter, die sie kurz vor neun bekümmert hereingelassen hatte, saß für sich auf der plastiküberzogenen Couch.
»Abend.« Alvin stand rund und kahlgeschoren im Türrahmen und versuchte hektisch zu erahnen, was er ausgefressen hatte. »Was ist los?«
»Das fragen wir dich.« Mullins beugte sich vor und schwenkte sein gekrümmtes Handgelenk, um missbilligend auf seine Uhr zu sehen. Er hatte Anderson vor gut einem Jahr verhaftet.
»Hey, ich hab's eine Stunde lang nach Hause versucht. Da ist so ein U-Bahn-Streik irgendwo.«
Seine Mutter schlug die Hand vor den Mund und schüttelte langsam resigniert den Kopf.
Matty war bei der Durchsicht der Verwahrbücher aus den letzten beiden Jahren auf Alvin Anderson gestoßen. Der Fall, der ihn hinter Gitter gebracht hatte: drei Männer, zwei Waffen, ein Tourist. Alvin hatte seine Komplizen im Gegenzug für eine Bagatellstrafe flugs ans Messer geliefert - leicht zu knacken, laut Mullins.
»Also, was ist«, fragte Matty von einem der anderen Polsterstühle.
»Nichts.« Alvin blieb stehen, als überlegte er noch, das Weite zu suchen. »Krieg ich jetzt 'ne Abmahnung?«
»Wohl kaum, aber ...«
»Aber...«
»Arbeit gefunden?«, fragte Mullins. »Auf der Suche.«
«Wo denn?«
»Überall«, antwortete Alvin erschöpft. »Fragen Sie meine Mutter, meinen Bewährungshelfer. Ich war neulich bei Old Navy: alles gut, alles bestens, bis die sehen, dass ich in Cape Vincent war, also ...«
»Die Verkehrsbetriebe suchen momentan Gepäckträger«, sagte Yolonda. »Da geht es auch mit Vorstrafe.«
»Tatsächlich?« Alvin bemühte sich, dankbar zu klingen. »Okay, okay.«
»Wie geht's deiner Freundin?«, fragte Mullins. »Welcher?« Jetzt gab er sich gewollt locker und verwegen. »Schlingel«, sagte Yolonda. »Werde wieder Vater«, sagte er zu Mullins.
»Ach ja?« Mullins verzog den Mund zu etwas, das für seine Begriffe als Lächeln durchging.
Alvins Mutter wandte wieder den Blick ab, seufzte, stand auf und verließ das Zimmer. Alle sahen ihr nach.
»Setz dich«, sagte Matty.
Alvin ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch hinab, als setzte er sich in ein heißes Bad. »Also, was machen Sie alle hier?«
«Was meinst du?«, fragte Matty.
»Wegen fünfzehn Minuten?« Er zog eine Grimasse. »Zu dritt?« Sie saßen da, sahen ihn an und warteten.
»Yo.« Er stand auf. »Wenn es um das Ding letzte Woche geht? Mir egal, was Sie gehört haben, Mann, ich war nicht dabei. Mach so Zeug nicht mehr, können Sie meine Mutter fragen, wo ich gestern Abend war.«
»Wir sprechen hier von ein und derselben Sache, ja?«, fragte Matty. »Klar, die chinesischen Brautmoden, oder?«
«Wenn nicht du«, fragte Yolonda, »wer dann?«
«So'n Mexikaner.«
»Wer?« Mullins war dran.
»So'n Typ.«
»Was für ein Typ?«
»Mexikaner. Das ist exakt alles, was ich gehört hab, mehr nicht, Gott ist mein Zeuge.« Er deutete auf Big John. »Können Sie Detective Mullins fragen, wie ich mich mache.«
»Na, wer hat dir denn davon erzählt?«, fragte Mullins.
Alvin zögerte. »Reddy.«
»Reddy Wilson?«, fragte Matty. »Reddy ist draußen?«
«Circa letzte Woche.«
Hätte Matty gewusst, dass Reddy Wilson draußen war, hätte er automatisch einen Steckbrief rausgegeben. Wenigstens etwas.
»Von dem abgesehen« - Alvin sah von einem Detective zum anderen - »weiß nicht genau, wie ich Ihnen weiterhelfen kann, Officers.«
»Nein?« Mullins sah ihn durchdringend an.
»Hey, spucken Sie's einfach aus.«
Yolonda trug ihren Stuhl zur Essecke zurück und legte die Hand auf Alvins, als wollte sie ihn an die Tischplatte nageln. »Du hast von dem Mord letzte Woche gehört?«
»Der Weiße?«
Erneut dieses bedeutungsschwere Schweigen. Alvin blickte von einer zum anderen. »Ach.« Schnaubte. »Das ist nicht Ihr Ernst.«
Sie sahen ihn unbeirrt an, damit er weiterredete, obwohl keiner wirklich glaubte, dass er darin verwickelt war.
»Mal echt jetzt.« Alvin lachte nervös.
»Irgendwas im Busch?«, fragte Matty.
»Hab nichts gehört außer >Scheiße, hast du schon gehört?<« Alvins Miene badete in Erleichterung.
»Nur mal so zur
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