Cash
überwältigt zurück und bot ihm verzweifelt die Handflächen dar.
»Für sieben haben sie mich drangekriegt«, murmelte er, angeberisch und angefressen. »Und wofür?«
»Weiß nicht... Schwachsinn. Man hat Hunger, keine Kohle, bestellt was zu essen, haut auf den Lieferanten drauf, nimmt das Essen, nimmt alles, was er in der Tasche hat.« Er zuckte mit den Schultern. »Die meiste Zeit weiß ich nicht mal mehr, was ich gemacht hab, so high war ich.«
»Ich wünschte, ich wäre deine große Schwester gewesen.« Yolonda ballte die Hand zur Faust. »Ich hätte dich durchschaut bis in die Haarwurzeln, bevor du überhaupt je das Haus verlassen hättest. Was hat dich bloß gebissen?«
Er zuckte abermals mit den Schultern und ließ den Blick über die wasserfleckigen Deckenfliesen schweifen.
»Du weißt, dass du in den Knast wanderst, oder?«
»Ich bin schon im Knast.«
»Nein. Richtig Knast. Du weißt, wovon ich rede.«
»Kommen Sie mich besuchen?«, fragte er, ohne sie anzusehen.
»Ich will, dass du mir was versprichst.« Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Du bist noch so jung. Vergeude da drin nicht deine Zeit, lern was, einen Beruf, ein Handwerk.«
»Ja, ich hatte da an Schlosser gedacht.«
»Du verarschst mich, oder?«
Er sah sie an.
»Man hat dir gerade zwei Einbrüche nachgewiesen.«
«Na und? Das war damals.«
»Nein. Etwas wie Elektriker, Trockenbau, Klempnerei. Der ganze Stadtteil hier explodiert. Dein Viertel. Bau, Sanierung, Abbruch, man kann ja hier kaum mehr schlafen. Also, du lernst dort drin ein Bauhandwerk? In ein, zwei Jahren, wenn du rauskommst, wenn uns nicht gerade eine schmutzige Bombe auf den Kopf fällt oder was, kannst du von da gleich zur Arbeit gehen.«
»Ja, okay.«
Yolonda ließ es eine Weile sacken, das Schweigen gehörte nur ihnen, dann legte sie die Hand wieder auf seinen Arm. »Eine Frage ... Du sagst, wir haben dich für sieben drangekriegt. Sonst noch was in der Eldridge Street?«
Tucker ließ sich Zeit, atmete durch. »Eine Sache. Ein Weißer.«
Yolonda nickte, schenkte ihm noch ein Schweigen, fragte leise: »Was ist da passiert?«
»Ich glaube, ich hab ihn erschossen.«
»Du glaubst?« Ihre Hand lag noch immer auf seinem Arm, der Junge begutachtete wieder die Deckenfliesen. »Ich war high. Kann sein, weiß nicht.«
«Wann war das?«
«Achter Oktober?«
Yolonda schloss leicht enttäuscht die Augen; keiner gab je das exakte Datum an, bestenfalls bekam man den Wochentag. »Wie viel Uhr in etwa?« Weniger Elan in der Stimme. »Vier Uhr morgens?«
»Wo genau in der Eldridge?« Eigentlich interessierte sie das kaum noch.
»Genau vor der Siebenundzwanzig.«
«Ich dachte, du warst high.«
«War ich auch.«
»Du erinnerst dich an das Datum, die genaue Uhrzeit, die Hausnummer, weißt aber nicht mehr, ob du ihn erschossen hast oder nicht? Komisch high.«
»Hab ich.«
»Was?«
»Geschossen. Ihn erschossen. Ich wollte das nicht, aber ...«
«Warst du allein?«
«Mit meinem Kumpel.«
«Wer ist das?«
»Das soll ich erzählen?« Ein Schnauben. »Aber du hast geschossen?«
«Hm-hm.«
»Was für eine Waffe?«
«Was für eine?«
»Was für eine.« Dann: »Fünfundvierziger, stimmt's?«
«Genau.«
»Jetzt beleidigst du mich. Hab ich das irgendwie verdient?«
«Was meinen Sie damit?«
«Shawn, warum lügst du mich an?«
«Lügen ...« Er fuhr zurück.
»Du gestehst einen Mord, den du nicht begangen hast.« Sie musste sich bücken und drehen, um seinen Blick einzufangen. »Sieh mich an.«
»Ich hätte es aber machen können.« Er sah weg.
»Warum?«
»Warum was?«
»Du brichst mir das Herz.« Yolonda brachte ein Schimmern in ihre Augen. »Du machst mich fertig.«
»Keine Ahnung.« Er betrachtete seine Fingerknöchel. »Ich dachte, das würde Ihnen helfen.«
»Mir?«
»Na ja, für Ihre Karriere.«
Sie beugte sich so weit vor, dass sie ihn hätte beißen können. »Meine Karriere?« Manchmal beherrschte Yolonda ihre Arbeit so gut, dass ihr schlecht wurde. »Wie kommst du bloß auf so was?«
Tucker zuckte wieder mit den Schultern und massierte mit der freien Hand seinen Nacken. Erst als sie ihn in die Sammelzelle zurückbrachte, sah sie das Plakat mit der Bitte um Informationen zum Marcus-Mord, das dort an der Wand hing, das inzwischen wahrscheinlich an allen Wänden aller Zellen, U-Hafträume, Erkennungsdienste und Bewährungsbüros in Lower Manhattan hing und ihn den ganzen Tag über angestarrt hatte.
Alvin Andersons Bewährungshelfer hatte John
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