Cash
in ihren Kittel schmiegten.
Yolonda hatte noch nie ein derart sauberes, aufgeräumtes Zimmer gesehen - durchsichtige Plastiküberzüge auf jedem Möbelstück einschließlich Videorekorder und Kabelkasten. Im Fernsehen lief, ohne Ton, ein Yankees-Spiel.
»Verstehen Sie, meiner Meinung nach ist seine Mutter dafür verantwortlich, was aus ihm geworden ist«, verkündete der Mann, als glaubte er allen Ernstes, irgendeinen der Anwesenden scherte das einen feuchten Dreck. Die Frau in der Ecke reagierte nicht; er meint nicht sie, dachte Yolonda. Als sie seinem stechenden Zeigefinger folgte, entdeckte sie das Objekt seiner Rede: einen mageren Teenager mit Narbe über dem Mund, der in der separaten Essecke stand, neben ihm ein Kollege von der Siedlung, der behutsam die Hand über seiner Brust hielt, als wollte er ihn im Zaum halten. Die Frau in der Ecke war auf keinen Fall seine Mutter.
»Sie hat ihm nicht die Grundlagen von, von umsichtiger Verantwortung, umsichtiger Mäßigung, umsichtiger Selbstbeherrschung beigebracht.«
Der Teenager stand ruhig da, eine Hand auf dem Esstisch, und der Polizist alarmbereit neben ihm, aber das war eigentlich nicht notwendig, so vertieft war der Junge in die Betrachtung des älteren Mannes, jedes einzelne Wort, jede Geste nahm er in sich auf, und um den Mund, in seinen Augen spielte zugleich Niederlage und stiller Triumph.
»Sehen Sie, meine Mutter hat uns richtig erzogen.« Der Mann geriet ins Stocken. »Ich bin sechsundvierzig, lebe schon bedeutend länger als viele Männer meines Alters, die in dieser Siedlung aufgewachsen sind, aber wie sie mir immer gesagt hat...«
»Sir ...«, brummte der Siedlungskollege.
Der Mann würde keinen Finger rühren, und der Junge wusste das, hatte es aber, so vermutete Yolonda, gerade erst herausgefunden; daher das leise Lächeln. Yolonda betrachtete noch einmal die frische Wunde auf der Wange des Mannes und die schrille Narbe, die wie eine Lügendetektoraufzeichung über den Mund und die untere Gesichtshälfte des Jungen lief, und dachte: Der hat zum ersten Mal zurückgeschlagen. Sie ging an den übrigen Polizisten vorbei, die nach und nach verschwanden, und gesellte sich zu dem Jungen: »Zeig mir mal dein Zimmer.«
Nachdem er Billy am Ellbogen zwei Stockwerke die Treppe hinunter bugsiert hatte, um der Menge zu entkommen, drückte Matty ihn abrupt gegen die Wand. »Was haben Sie hier zu suchen.«
»Ich habe keine Angst vor diesem Bau.« Billy stieß sich mit dem Hinterkopf von der rauchvergilbten Schlackenbetonwand ab und sah weg, um Mattys Blick zu entkommen.
»Antworten Sie auf meine Frage.« Matty drückte sich näher an ihn und legte den Kopf schief.
»Sie hätten mal die Rattenlöcher sehen sollen, in denen ich aufgewachsen bin«, sagte er zu der Treppe in den vierzehnten Stock.
»Haben Sie jemanden gesucht?«
»Außerdem« - Billy zuckte die Schultern - »was können die mir jetzt noch anhaben.«
»Wer ist die? Wen haben Sie gesucht.«
Billy reckte den Hals, um Mattys starrem Blick auszuweichen.
»Wen, True Life?«
»Weiß ich nicht.«
»Haben Sie True Life gesucht?«
»Weiß ich nicht.«
»Sie wissen es nicht?«
»Nein.«
»Und was würden Sie tun, wenn Sie ihn finden?«
»Ich will ja nur ...«
»Was? Sie wollen was?«
»Ich will ja nur eine Erklärung.«
»Sie wollen eine Erklärung von True Life? Was soll er Ihnen denn bitteschön erklären? Wenn Sie Erklärungen wollen, reden Sie mit Ihrer Frau. Ihrem Priester. Ihrem Seelenklempner. True Life ist raus aus der Erklärungsschleife. Also frage ich Sie noch einmal: Was machen Sie hier. Geben Sie her«, sagte er dann und nahm ihm das geöffnete Notizbuch aus den widerstandslosen Fingern.
Halb hatte er erwartet, dort die Niederschrift irgendeiner Vendetta zu finden, irgendein blutrünstiges Manifest, stattdessen stand da eine To-do-Liste:
Akzeptieren
Tiefere Bedeutung finden
Familie
Freunde
Gebet (??)
Irgendwelche Charakterstärken
Nicht Sekundäropfer sein - Ferien, Hobbys usw.
Matty las noch einmal: Hobbys.
»Ich will ja nur ...«, sagte Billy zu der leeren Treppe, »ich bin hier, ich bin hier, weil, ich muss mich orten, wissen Sie, orientieren, damit ich anfangen kann ...«
»Okay, aufhören«, sagte Matty.
»Ich meine, wo soll ich jetzt hin, was soll ich mit mir anfangen ...« Sein Gesicht im rechten Winkel zu Mattys. »Ich will mich nur orientieren, und dann ...«
»Hören Sie auf.«
Und Billy schwieg.
»In Ordnung.« Matty blickte ins
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