Cash
Aber wie kommt es, dass Sie in der ganzen Zeit hier, dass Sie da nicht ein einziges Mal gefragt haben, wie es ihm geht, oder überhaupt nur, ob er noch lebt?«
Sie wartete auf seine Antwort.
»Hab ich das nicht?«, fragte Eric schließlich und suchte mit wildem Blick die nackten Betonwände ab. »Nein.«
Sie sahen ihn an.
»Nein. Wie konnte ... hab ich das nicht?«
»Ruhen Sie sich aus«, sagte Yolonda sanft, »wir versuchen, schnell wieder da zu sein.«
»Das reicht als Beweis«, sagte sie auf der anderen Seite der Scheibe, während sie Eric im Schlaf zucken sahen wie einen träumenden Hund.
»Vielleicht ist er nur erschöpft«, sagte Matty. »Natürlich«, sagte Yolonda.
»Komm schon, er hat nicht mal nach einem Anwalt verlangt«, sagte Matty. »Na ja, fast. Ich glaube, er hatte Angst, sich damit schuldig zu bekennen. Aber das ist es ja gerade, was für eine harte Nuss denkt denn so?«
»Fehlende Erfahrung, er weiß bloß noch nicht, wies geht. Na und?«
»Nenn mir ein einziges einleuchtendes Motiv.«
»Du willst ein Motiv?«, fragte Yolonda forsch. »Hier hast du eins: Männer - überreagieren - auf Schmerz. Und dann? Reißen sie alle mit runter.«
»Was soll denn der Schwachsinn bitte heißen?«
»Soll heißen, ich scheiß auf ein Motiv. Mir reicht's aus.«
Als Matty nach unten kam, entschlossen, den Rest seiner Pause dazu zu nutzen, zur Eldridge Street 27 zurückzugehen und bei der Waffensuche zu helfen, sah er sich instinktiv die Wartenden an: ein älteres chinesisches Paar, der Mann mit schwarz verkrusteten frischen Nähten auf der Wange, eine junge ostindische Frau mit einem Abschleppzettel in der Faust und ein aufgewühlt wirkender Weißer mittleren Alters in Sakko und Jogginghose. Mehr oder weniger der übliche Stadtteilmix.
Als er aus der Tür ging, klingelte sein Handy, die Nummer sah vage vertraut aus. »Detective Clark.«
»Ja, hey.«
Mit Unmut vernahm Matty die Stimme seines älteren Sohnes. »Hey, ihr seid schon wach? Ist doch noch nicht mal Mittag.«
»Wo zum Teufel ist die Audubon Avenue? Eddie und ich kurven hier schon eine Stunde rum.«
»Ihr seid in Washington Heights? Was macht ihr in Washington Heights?«
»Einen Freund besuchen.«
»Ihr habt einen Freund aus Lake George, der in Washington Heights wohnt?« Matty wurde flau im Magen. »Freund von Eddie.«
»Eddie hat einen Freund ...« Matty legte den Hörer an die Brust und atmete aus. »Gib mir deinen Bruder.«
«Er ist nicht hier.«
»Eben hast du >Eddie und ich< gesagt.«
»Dad, Audubon Avenue. Weißt du, wo die ist, oder nicht?« Matty wurde schwindlig vor Wut und Selbstekel. »Da kann ich dir nicht helfen, Matty«, sagte er schließlich. »Frag einen Polizisten.«
Matty redete sich gut zu, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, trat an die Behindertenrampe neben dem Eingang, um eine zu rauchen, bevor er zum Tatort ging, und sah den Toyota Sequoia praktisch mitten auf der Pitt Street, fahrerlos, mit offener Tür und Auspuffwölkchen, keine Spur vom Fahrer. Unwillkürlich ließ er die Zigarette fallen und kehrte in die Rezeption zurück, um noch einmal den Weißen in Augenschein zu nehmen, der da vornübergebeugt mit den Ellbogen auf den Knien saß und aus schmalen Augen die Flachrelief-Gedenktafeln an der Wand betrachtete, als wollte er sie auswendig lernen. Er hatte den verhangenen roten Teint eines Gammlers, doch nach Mattys Eindruck war das nicht sein Problem. »Mr Marcus?«
Der Mann fuhr zu der Stimme herum und stand ebenso schnell auf. »Ja.« Er streckte die Hand aus. Sein Blick war zugleich wach und ziellos.
»Detective Clark.« Matty gab ihm die Hand und fühlte ein Zittern unter dem enorm festen Händedruck.
»Sind Sie der Detective, den man mir genannt hat?«
»Ja, doch, das bin ich. Wie lange warten Sie schon hier unten?«
»Weiß ich nicht.«
»Hat irgendjemand oben Bescheid gesagt?«
Marcus antwortete nicht. Matty sah zum wachhabenden Kollegen hinüber, der die Nase noch immer tief in der Post stecken hatte, und beschloss, es auf sich beruhen zu lassen. »Sagen Sie, es tut mir sehr leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen müssen.« In seinen Ohren klang er wie ein freundlicher Roboter.
»Ich wäre ja früher gekommen«, sagte Marcus, »aber ich konnte es nicht finden.«
»Ja, nein, die Straßen hier unten sind ein bisschen verquer, aber wenn wir gewusst hätten, dass Sie kommen, hätte ich einen ...«
»Nein, nein, die Stadt konnte ich nicht finden, dieses ganze
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