Cash
Mund den Namen seines Sohnes. Marcus rang nach Luft, das Getöse um sie herum füllte die Stille.
»Eldridge siebenundzwanzig«, sagte Marcus schließlich und nickte sich selbst zu. »Hat er gelitten?« Bevor Matty antworten konnte, fügte er hinzu: »Nein, natürlich nicht. Das könnten Sie mir ja unmöglich sagen.«
»Er hat nicht gelitten«, sagte Matty trotzdem und hoffte, dass es der Wahrheit entsprach.
»Auf der Stelle?« Die Frage war echt, Marcus war außerstande, seine ironische Gereiztheit aufrechtzuerhalten.
»Auf der Stelle.«
Sie saßen eine Weile da, und Matty sah, wie seinem Gegenüber ein weniger paralysierter Schmerz ins Gesicht strömte.
»Sagen Sie«, wagte er sich weiter, »ich weiß, es ist jetzt nicht die richtige Zeit, aber ehrlich gesagt haben wir ziemliche Schwierigkeiten, den ganzen Vorgang zu begreifen, wenn es also irgendetwas gibt, was Sie uns über Ihren Sohn ...«
»Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe«, sagte Marcus, »wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe.« Mit offenem Mund suchte er die Decke ab. »Moment.«
Da wusste Matty, dass dieser Mann ihnen mit ihren Ermittlungen überhaupt nicht weiterhelfen würde. Jetzt galt es, ihn mit seiner Familie zusammenzubringen. »Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, Mr Marcus?«
»Für mich tun.«
»Wenn Sie nicht bei Ihrer Familie sein wollen, was ich, wie gesagt, für einen Fehler halte, kann ich dann irgendjemand anders anrufen?« Marcus antwortete nicht. »Brauchen Sie eine Unterkunft?«
«Unterkunft?«
«Wir können etwas ...«
Marcus fuhr zusammen, als Yolonda urplötzlich neben ihm an der Trennwand lehnte. Sie legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter, sah ihn mit traurigem Blick an, und endlich fing er an zu weinen.
Mattys Handy klingelte: Bobby Oh. Er ließ den Vater in Yolondas Obhut und ging zum Telefonieren um die Ecke.
»Mr Bobby, sag mir was Nettes.«
»Nichts von nichts.« Oh gähnte. Matty sah ihn vor sich, nach acht Stunden am Tatort, rote Augen, flatternde Hemdschöße, das spärliche Haar, das seinen Skalp umkränzte, abstehend wie gefrorenes Feuer. »Keiner im Haus hat ihn je zuvor gesehen, also kann ich mir nicht vorstellen, dass er die Waffe da drin einem Verbündeten übergeben hat, das Dach ist sauber, die Nachbardächer auch, die Feuertreppen, die Abflussrohre, Treppenhäuser, Keller, wir haben die Abfalleimer an sechs Ecken durchwühlt, den Müllwagen aufgespürt, der hier die nächtliche Abfuhr hatte, die EPA hat Gullys und Kanaldeckel geöffnet ... Irgendwas übersehen?«
»Der Typ ist ein verfluchter Rip van Winkle.« Yolonda spitzte das Kinn auf Eric Cash hinter der Scheibe. »Wenn ich so viel Schlaf kriegen würde, ich würde zehn Jahre jünger aussehen.«
»Ich hab ihn einfach nicht drin.«
»Ich schon.«
»Und ich sag dir noch was: Wenn er uns über letzte Nacht die Wahrheit gesagt hat, dann war er eine Handbreit von der Kugel entfernt. Und wir setzen ihm so zu?«
»Du bist so ein guter Mensch«, sagte Yolonda. »Wie willst du denn rangehen?«
»Keine Ahnung. Ihn noch einmal richtig durchbügeln und dann dem Staatsanwalt übergeben.«
»Okay, und wie willst du rangehen?«
»Ich will ihn in die Enge treiben.«
»Wieso du? Du sagst doch, du hast ihn nicht mal drin.«
»Ja schon, aber er kann es ganz schwer ertragen, wenn ich enttäuscht bin von ihm.«
Deputy Inspector Berkowitz tauchte neben ihnen auf, seinen London Fog über dem Arm. »Wie weit sind wir?« Ging halb in die Hocke, um Cash durch die Scheibe zu beäugen. »Die da oben scharren mächtig mit den Füßen.«
Matty und Yolonda kabbelten sich wieder wie ein altes Ehepaar über einem Stadtplan.
»Mein Rat.« Berkowitz richtete sich auf und sah auf die Uhr: 12.45. »Ich an Ihrer Stelle würde jetzt mal zusehen, dass ich den Sack zumache.«
»Alles klar, Boss.« Yolonda sah Matty an, als könnte sie sich nur schwer verkneifen, ihm im Triumph die Zunge rauszustrecken.
Da Billy Marcus unmöglich fahren konnte und ohnehin nicht gewillt war, zu seiner Familie nach Riverdale zurückzukehren, hatte Matty ihm ein Zimmer im Landsman gebucht, einem neuen Hotel in der Rivington Street, das mit dem Revier ein Abkommen geschlossen hatte und ermäßigte Suites für Drogendeals zur Verfügung stellte sowie billige Einzelzimmer für auswärtige Zeugen, Opfer und gelegentlich für Familienangehörige, die auf die Freigabe einer Leiche warteten. Das Landsman hätte sich der Abmachung entzogen,
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