Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
beachten, eine latente Variable, die wir in den Daten nicht werten.« Ich weiß es ebenso genau, wie ich weiß, dass in meinen Erinnerungen an den Tag im roten Garten das Mittelstück fehlt: Unser Verständnis der Beziehung zwischen den beiden Datensätzen ist fehlerhaft.
Die andere Sortiererin wendet ein: »Wichtig ist doch nur, dass wir ständig die Listen an Oker weitergeben.« Jeden Tag schicken wir ihm Vorschläge, was zur Wirkung des Heilmittels beitragen könnte, immer aufgrund der aktuellen Informationen über die Patienten und unter Einbeziehung der wahrscheinlichen Fehler in der Behandlung.
»Ich weiß nicht, inwiefern Oker überhaupt auf uns hört«, wende ich ein. »Ich glaube, Oker traut nur einem, und zwar sich selbst. Aber wenn wir zu einer Art Konsens dahingehend kommen, welches die wichtigsten Ingredienzien sind, und diese an ihn weiterleiten, und wenn unsere Analysen sich dabei decken, nimmt er vielleicht eher Ratschläge von uns an.«
Leyna beobachtet mich.
»Aber genau das tun wir doch!«, protestiert eine der anderen Sortiererinnen.
»Ich habe nicht das Gefühl, dass ich es richtig mache!«, entgegne ich. Frustriert schiebe ich meinen Stuhl zurück und stehe auf, den Datenpod in der Hand. »Ich glaube, ich gehe jetzt in die Pause.«
Rebecca nickt.
»Ich begleite dich in die Krankenstation«, sagt Leyna überraschenderweise. Sie arbeitet sehr, sehr hart, und ich weiß, dass ihr Anderland das bedeutet, was Ky für mich ist – das Beste, Schönste, unerreichbar, aber voller Verheißungen.
Wir überqueren den Dorfplatz und kommen an dem großen Stein in der Mitte vorbei. Vor ihm befinden sich zwei schmale Tröge.
»Wofür benutzt ihr die?«, frage ich Leyna.
»Zum Wählen«, antwortet sie. »Die Farmer und wir bedienen uns der gleichen Methode. Jeder besitzt einen kleinen Stein mit seinem Namen darauf, und bei Abstimmungen wirft jeder seinen Stein entweder in den einen oder den anderen Trog. Hinterher wird ausgezählt, welche Seite gewonnen hat.«
Ich frage: »Gibt es immer nur zwei Möglichkeiten?«
»Ja, normalerweise«, antwortet Leyna. Sie bedeutet mir, ihr auf die Rückseite des Steins zu folgen. »Schau mal hier hinten.«
Auf dem Stein stehen winzig klein Reihen von Namen in Spalten nebeneinander. Jemand hat sie eingemeißelt und -geritzt. Oben ist damit begonnen worden, und unten ist jetzt nicht mehr viel Platz.
»Diese Spalte«, erklärt Leyna, »enthält die Namen all jener, die in diesem Dorf, in Endstein, gestorben sind. Und dies«, dabei zeigt sie auf eine andere Stelle im Stein, »ist eine Liste derer, die nach Anderland gezogen sind. Das Dorf ist sozusagen das Sprungbrett nach Anderland, und die Namen aller, die dorthingingen, sind hier eingraviert, egal, woher sie stammten.«
Ich bleibe noch einen Moment dort stehen und lese die Namen auf dem Stein in der Anderland-Spalte, in der Hoffnung, auf den eines Bekannten zu stoßen. Zunächst überlese ich ihn, weil ich nicht glauben kann, was da steht, doch dann sehe ich genauer hin, und es war kein Irrtum.
Matthew Markham
»Hast du ihn gekannt?«, frage ich Leyna neugierig und berühre den Namen.
»Nicht richtig«, antwortet sie. »Er stammte aus einem anderen Dorf.« Interessiert sieht sie mich an. »Kennst du ihn denn?«
»Ja!«, sage ich mit klopfendem Herzen. »Er hat bei uns in der Siedlung gewohnt, in Oria. Seine Eltern haben ihn von der Gesellschaft weggeschickt.« Ich hätte schon früher daran denken sollen, mich nach ihm zu erkundigen; ich kann es kaum erwarten, Ky zu erzählen, dass sein Cousin hier war und noch am Leben sein könnte, wenn auch an einem Ort, von dem es keine Wiederkehr gibt.
»Viele, die spurlos verschwunden sind, sind nach Anderland gegangen«, sagt Leyna. »Manche von ihnen – ich weiß aber nicht mehr, ob Matthew so empfunden hat – hatten das Gefühl, ihre Eltern hätten sie aus der Gesellschaft verstoßen, und wollten daraufhin noch weiter weg, als ihre Familien es beabsichtigt hatten. Es war wie eine Art Rache.« Auch sie legt die Hand auf den Namen. »Hat er unter diesem Namen auch in eurer Siedlung gelebt?«
»Ja«, sage ich. »Ja, das ist sein richtiger Name.«
»Das will schon etwas heißen«, sagt sie. »Viele haben ihren Nachnamen geändert, er aber nicht. Das bedeutet, er wollte seine Spur nicht ganz verwischen, falls irgendwann jemand nach ihm suchen würde.«
»Sie hatten doch keine Luftschiffe, also müssen sie den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt haben«, sage ich.
Leyna
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