Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
bitte«, sage ich. »Sie können den Text mit Ihrer Melodie unterlegen, dann haben Sie ein eigenes Lied.« Dabei wird mir klar, dass Schreiben tatsächlich in einem Zusammenspiel zwischen denjenigen besteht, die die Worte schenken, und denen, die sie annehmen, die eine Bedeutung darin erkennen oder sie mit Musik unterlegen, oder aber sie beiseitelegen, weil sie nicht das Erwünschte bieten.
Die Frau nimmt das Blatt zunächst nicht an. Sie glaubt, sie müsse mich dafür bezahlen.
Eine weitere Erkenntnis trifft mich: Die Idee, die ich für das Handeln mit neuen Dingen hatte, war vollkommen falsch.
»Bitte, ich schenke es Ihnen für Ihren Sohn«, erkläre ich. »Es stammt von mir. Nicht von den Archivisten. Und ich möchte kein Geschäft damit machen.«
»Danke«, sagt die Frau überrascht und erfreut. »Das ist sehr nett von Ihnen.« Sie folgt meinem Beispiel und schiebt das Stück Papier in ihren Ärmel. »Aber wenn es nicht wirkt …«
»Dann kommen Sie wieder, und ich besorge Ihnen die grünen Tabletten.«
Nachdem ich die Frau zurückgelassen habe, mache ich mich auf den Weg zum Versteck der Archivisten, um zu fragen, ob sie mehr Arbeit für mich haben und ob meine Tauschobjekte eingetroffen sind. Nach dem Diebstahl meiner Gedichte habe ich meine Kiste in die Obhut der Chefarchivistin gegeben. Alle unsere persönlichen Wertgegenstände werden in einem Hinterzimmer aufbewahrt, zu dem ich bisher keinen Zutritt hatte und für das nur wenige Archivisten einen Schlüssel besitzen.
Man bringt mir meine Kiste, und ich schaue hinein. Einst barg sie Gedichte von unschätzbarem Wert; jetzt liegen ein Essensbehälter, eine Rolle Terminalpapier, ein Paar zur Gesellschaftsuniform gehörende Schuhe, ein weißes Funktionärsuniformhemd und das rote Seidenkleid darin, das ich bei dem ersten Wiedersehen mit Ky tragen wollte. Die Gedichte, die mir noch geblieben sind, trage ich immer bei mir. Insgesamt gesehen keine spektakuläre Sammlung, aber immerhin ein Anfang. Schließlich arbeite ich erst seit ein paar Wochen daran. Entweder wird mir die Erhebung ermöglichen, meine Familie und meinen Freund wiederzusehen, oder ich werde einen Weg finden, es allein zu schaffen.
»Es ist alles da«, sage ich zu dem Archivisten, der mir die Schachtel gegeben hat. »Vielen Dank. Soll ich heute noch ein Geschäft für Sie abschließen?«
»Nein«, erwidert er. »Aber natürlich können Sie wie immer vor dem Museum warten, ob jemand auf Sie zukommt.«
Ich nicke. Wenn ich die Frau nicht dazu überredet hätte, keine grünen Tabletten zu kaufen, wäre meine Sammlung jetzt um ein Objekt reicher.
Ich reiße einen langen Papierstreifen von einer Rolle ab und wickle ihn mir um den Arm. »Ich bin fertig«, sage ich zu dem Archivisten. »Vielen Dank.«
Auf meinem Weg nach draußen begegne ich der Chefarchivistin, und unsere Blicke treffen sich. Sie schüttelt den Kopf. Noch nicht. Mein Gedicht und der Mikrochip sind immer noch nicht angekommen.
Manchmal frage ich mich, ob nicht die Chefarchivistin anstelle des Steuermannes am Ruder sein und uns in die Wasser unserer eigenen Wünsche und Bedürfnisse lenken sollte. Sie könnte uns dabei helfen, in kleinen, mit persönlichen Wertgegenständen beladenen Booten loszurudern. Solchen Gegenständen, die wir unbedingt dazu brauchen, unser wahres, echtes Leben zu beginnen.
Unmöglich erscheint mir das nicht.
Welcher Ort wäre besser dazu geeignet, eine Rebellion anzuzetteln, als dieses unterirdische Versteck?
Ich steige die Treppe hinauf an die Oberfläche, rieche frisches Gras und kühle Abenddämmerung.
Zurück in der Stadt, bin ich mir auf einmal nicht mehr sicher, dass ich es wagen werde. Ich habe mich so lange Zeit an dieses Gedicht geklammert! Vielleicht vergeude und verschenke ich zu viel.
Andererseits bereue ich am meisten, anderen bisher nicht mehr gegeben zu haben. Meine Gedichte habe ich zu lange für mich behalten, und sie wurden gestohlen, und nie habe ich Xander, Bram oder sonst irgendjemandem das Schreiben beigebracht. Warum ist mir das nie in den Sinn gekommen? Bram und Xander sind so klug, sie können es von selbst lernen, aber manchmal ist es besser, wenn einem am Anfang jemand hilft.
Ich schleiche hinaus in die Dunkelheit und wickle das zusammengerollte Papier von meinem Handgelenk. Ich lege es auf einer der glatten, kühlen Metallbänke im Park aus und beginne, mit meinem Holzkohlestift das Papier zu beschreiben. Die Stifte sind ganz leicht herzustellen: Man muss nur das Ende
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