Cassia & Ky – Die Flucht
hinpumpte, und die Bäche in den Schluchten sind an keiner Stelle so breit und ruhig dahingeflossen wie dieser Wasserlauf. Sie sind schmaler und schneller. »Meinst du nicht, die Fische sind inzwischen alle abgestorben? Ist das Wasser nicht zu kalt?«
»Fließendes Wasser gefriert selten«, erklärt mir Vick, hockt sich ans Ufer und blickt in den Fluss hinein, in dem Schatten umherhuschen. »Die könnten wir fangen!«, sagt er aufgeregt. »Ich wette, das sind Bachforellen. Die schmecken wirklich gut!«
Schon hocke ich neben ihm und überlege, wie wir es anstellen könnten. »Wie sollen wir es machen?«
»Sie sind am Ende ihrer Laichzeit«, erklärt uns Vick. »Jetzt sind sie träge. Wir können sie einfach mit den Händen fangen, wenn wir nahe genug an sie herankommen. Es ist nicht schwer«, fügt er fast bedauernd hinzu. »Zu Hause haben wir das nie so gemacht. Wir hatten Angeln.«
»Wo bist du zu Hause?«, frage ich Vick.
Er sieht mich nachdenklich an, aber da er inzwischen weiß, wo ich herkomme, hält er es wohl für in Ordnung, mir von seiner Heimat zu erzählen. »Ich komme aus Camas«, sagt er. »Das solltest du sehen! Die Berge dort sind höher als die da.« Er zeigt über die Ebene hinweg. »Und in den Flüssen leben viele Fische.« Er hält inne und schaut wieder aufs Wasser, in dessen Tiefen sich die Schatten bewegen.
Eli sitzt immer noch zusammengekauert da, wie ich ihm eingeschärft habe. Wir dürfen nicht zu sehr auffallen. Diese Ebene zwischen der Felsformation und den Bergen gefällt mir einfach nicht. Zu ungeschützt liegt sie unter dem offenen Himmel.
»Halte nach einer Stromschnelle Ausschau«, sagt Vick jetzt zu Eli. »Das ist eine Stelle im Fluss, wo das Wasser flacher ist und schneller fließt. Wie hier. Und dann machst du das hier …«
Vick kauert sich langsam hin, bleibt still am Ufer hocken und wartet. Dann greift er mit einer Hand ins Wasser, hinter dem sich kaum bewegenden Fisch, und fährt langsam stromaufwärts, bis seine Handfläche unter dem Fischbauch ist. Dann schleudert er das glitschige Tier blitzschnell ans Ufer, wo es zappelt und nach Luft schnappt.
Wir sehen zu, wie der Fisch stirbt.
In jener Nacht kehren wir in die Schlucht zurück, wo der Rauch eines Feuers nicht so sehr auffällt. Ich entzünde es, indem ich mit dem Feuerstein Funken schlage, und hebe die Streichhölzer der Farmer für später auf. Es ist das erste richtige Feuer, das wir entfacht haben, und Eli hält dankbar die Hände über die lodernden Flammen. Es ist ein Unterschied, ob Feuer vom Himmel fällt oder man sich daran wärmt. »Geh nicht zu dicht ran!«, warne ich Eli. Er nickt. Das Licht flackert auf den Felswänden und bringt die Farben des Sonnenuntergangs zurück. Orangefarbenes Feuer. Orangefarbenes Gestein.
Wir garen unseren Fisch langsam in der Asche, damit er sich auf unserem Weg über die Ebene länger hält. Wir beobachten den Rauch und hoffen, dass er verfliegt, bevor er über die Schluchtwände emporsteigt.
Vick sagt, dass es Stunden dauern wird, bevor alle Fische fertig sind, weil dem Fleisch vollständig das Wasser entzogen werden muss. Aber so halten sie länger, und wir brauchen die Nahrung. Wir haben das Risiko einkalkuliert, dass uns jemand von der Niederlassung der Farmer aus gefolgt sein könnte, aber wir müssen unbedingt Proviant für unseren Marsch über die Ebene haben, das ist wichtiger. Jetzt, wo wir vor Augen haben, was für eine weite Strecke vor uns liegt, bekommen wir alle Hunger.
»Es gibt einen Fisch, der wird Regenbogenforelle genannt«, erzählt Vick fast versonnen. »Durch die Erderwärmung ist er schon vor langer Zeit fast vollständig ausgestorben, aber einmal habe ich in Camas eine gefangen.«
»Hat sie so gut geschmeckt wie diese hier?«, fragt Eli.
»Na klar!«, sagt Vick.
»Du hast sie wieder ins Wasser geworfen, oder?«, frage ich.
Vick grinst. »Ich hätte sie nicht essen können«, sagt er. »Es war die einzige, die ich je gesehen habe. Vielleicht war es sogar die Letzte ihrer Art.«
Ich lehne mich auf meine Fersen zurück. Mein Bauch ist voll, und ich fühle mich frei, weit weg von der Gesellschaft und auch der Niederlassung der Farmer. Nicht alles ist vergiftet. Strömendes Wasser gefriert nur selten. Es ist gut, diese beiden Dinge zu wissen.
Ich bin so glücklich, wie ich es seit der Zeit mit Cassia auf dem Hügel nicht mehr gewesen bin. Allmählich glaube ich doch eine Chance zu haben, zu ihr zurückzukehren.
»Waren deine Eltern
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