Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Du hast zwar viel in deinen Briefen erzählt, aber es hat noch lange nicht ausgereicht, Heaven.«
Ich drehte mich schnell um und versuchte zu lächeln. »Bis morgen. Den ganzen Tag, wenn du es so willst.«
»Wenn ich’s so will? Natürlich will ich das! Heaven, sieh mich doch nicht so an! Als würde ich dir einen Schreck einjagen! Was ist los? Sag mir nicht, daß es nichts ist! Du bist verändert! Du liebst mich nicht mehr und traust dich nicht, es zu sagen!«
»Das ist nicht wahr«, schluchzte ich.
»Was ist es dann?« fragte er, und sein junges Gesicht nahm einen ernsten und reifen Ausdruck an. »Wenn wir nicht darüber reden, dann wird es eine Mauer zwischen uns aufbauen, die wir nicht mehr überwinden können.«
»Auf Wiedersehen, Logan«, rief ich ihm zu, indem ich davoneilte.
»Wo?« schrie er mir verzweifelt hinterher. »Hier oder bei den Settertons?«
»Treffen wir uns hier, irgendwann nach sieben Uhr«, sagte ich mit einem unsicheren Lachen. »Ich bin früh auf, um Kitty zu versorgen.«
Wenn ich nur unschuldig zu ihm hätte zurückkommen können, als Mädchen, dem er noch alles zeigen konnte… Und trotzdem war es ein wirklich wunderbares Gefühl zu wissen, daß seine Augen mir mit großer Bewunderung folgten. Ich spürte es fast körperlich, als ich fortging. Seine Zuneigung für mich wärmte mein Herz. Dann hörte ich, wie er hinter mir herrannte, um mich einzuholen. »Was ist schon dabei, wenn ich dich bis zum Pfarrhaus begleite und dann verschwinde? Ich kann nicht bis morgen auf die Wahrheit warten, Heaven! Du hast mir doch bei euch noch gesagt, daß euer Vater Keith und Unsere-Jane, Fanny und Tom verkauft hat. Dich auch?«
»Ja«, antwortete ich ihm kurz angebunden. Ich klang übertrieben zornig, weil er mir, jetzt noch, anscheinend nicht glauben wollte. »Verkauft, wie Tiere, das Stück für fünfhundert Piepen! Ich bin abgeschleppt worden, um für eine verrückte Frau Sklavendienste zu leisten, die Vater außerdem ebenso haßt wie ich!«
»Warum schreist du mich an? Ich habe dich doch nicht verkauft! Es tut mir ja leid, daß du so gelitten hast – aber, Gott verdamm’ mich, wenn man es dir ansieht! Du siehst blendend aus, und dann erzählst du mir, daß du verkauft und wie eine Sklavin behandelt worden bist. Wenn alle Sklaven so aussehen wie Schönheitsköniginnen, vielleicht sollten dann die Mädchen wirklich als Sklavinnen verkauft werden.«
»Was für eine kränkende Bemerkung, Logan Stonewall!« fuhr ich ihn an. Dabei kam ich mir vor wie Kitty in ihren gemeinsten Zeiten. »Ich dachte immer, du warst nett und verständnisvoll! Nur weil du die Narben nicht sehen kannst, heißt das noch lange nicht, daß ich keine habe!« Ich weinte und stammelte nur noch. Vor ein paar Minuten war er so liebevoll gewesen. Unfähig, noch etwas zu sagen und wütend auf mich selbst, weil ich schon wieder die Selbstkontrolle verlor und in kindische Tränen ausbrach, wandte ich mich von ihm ab.
»Heaven… Geh nicht weg. Es tut mir leid. Verzeih mir, daß ich so grob gewesen bin. Gib mir eine Chance. Wir werden darüber reden, so wie wir es früher getan haben.«
Um seinetwillen hätte ich jetzt eigentlich fortlaufen müssen, um ihn nie mehr wiederzusehen, aber ich konnte den Jungen nicht loslassen, den ich vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Für einen Moment vergaßen wir unsere Meinungsverschiedenheiten und gingen nebeneinander, bis wir vor dem vornehmen Haus des Reverend Wayland Wise standen.
Während ich das Pfarrhaus anstarrte, hielt er meine Hand fest.
Ein reines, weißes, frommes und imposantes Haus, umgeben von zwei Hektar wunderschöner Gartenlandschaft voller Blumen und Rasen. Im Vergleich dazu war Kittys Haus eine schäbige Hütte. Ich seufzte wegen Fanny, die nun wohl eine junge Dame von sechzehn Jahren und vier Monaten war, und Tom würde, wie ich, siebzehn sein, Keith bald zwölf und Unsere-Jane elf Jahre alt. Oh, sie alle wiederzusehen und zu wissen, daß sie glücklich und gesund waren!
Aber zuerst Fanny.
Jetzt, da ich davor stand, konnte ich nur stumm und starr das vornehmste Haus von ganz Winnerrow betrachten. Korinthische Säulen säumten die lange Veranda. Die Treppen bestanden aus kunstvoll gelegten roten Ziegeln. Rote Geranien und rote Petunien wuchsen in riesigen Terrakotta-Blumentöpfen. Auf der Veranda standen behäbige Rohrsessel mit eigenwilligen Lehnen, die Pfauenschwänzen glichen.
In den uralten Bäumen zwitscherten die Vögel; ein gelber Kanarienvogel in einem
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