Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
meine Schulter. »Tut es immer noch so weh? Du hast sie ja nicht gekannt.«
»Doch, ich kenne sie. Manchmal wache ich auf und empfinde das gleiche, das sie gefühlt haben muß. Sie ist ich, und ich bin sie. Ich liebe die Berge, und ich hasse sie. Sie geben dir viel, aber sie nehmen dir auch viel weg. Es ist einsam hier oben, aber es ist auch schön. Gott hat dieses Land gesegnet und die Leute darin verdammt, sich klein und unbedeutend vorzukommen. Ich möchte fort von hier, und ich möchte bleiben.«
»Dann treffe ich die Entscheidung für dich. Wir kehren zurück ins Tal und werden in zwei Jahren heiraten.«
»Du mußt mich nicht heiraten, das weißt du.«
»Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Es gab niemanden in meinem Leben außer dir. Ist das nicht Grund genug?«
Tränen rannen über mein Gesicht, sie fielen wie Regentropfen auf die rote Rose. Ich hob die Augen und sah, wie sich Sturmwolken schnell zusammenballten. Ein Schauer durchfuhr mich, und ich begann zu sprechen. Er zog mich an sich. »Heaven, bitte sage nichts, das meine Gefühle für dich zerstören könnte. Wenn du vorhast, mir etwas zu sagen, was nur weh tun wird, sag es besser nicht, bitte!«
Trotzdem fing ich an, ihm alles zu erzählen, wie ich es schon seit langem geplant hatte, hier an diesem Ort, wo sie es hören konnte.
»Ich weiß, du hast eine bestimmte Idealvorstellung von mir.«
»Du bist alles, was ich mir wünsche«, warf er schnell ein.
»Ich liebe dich, Logan«, sagte ich sehr leise und mit gesenktem Kopf. »Ich habe dich seit dem ersten Tag, an dem wir uns gesehen haben, geliebt, und trotzdem habe ich einen anderen…«
»Ich will es nicht hören!« brauste er auf.
Er sprang auf und ich auch. Wir standen uns Aug’ in Aug’ gegenüber. Meine langen Haare flatterten im Wind, daß sie seine Lippen berührten. »Du weißt es also, nicht wahr?«
»Was Maisie herumerzählt? Nein, so etwas Abstoßendes kann ich nicht glauben! Ich höre nicht auf Klatsch! Du gehörst mir, und ich liebe dich… Also versuche erst gar nicht, mich davon zu überzeugen, daß es einen Grund gibt, dich nicht zu lieben!«
»Es gibt aber einen Grund!« schrie ich verzweifelt. »Candlewick war nicht der glückliche Ort, wie ich es dir in meinen Briefen weismachen wollte. Ich habe dir so viele Lügen erzählt… und Cal war – «
Er wandte sich abrupt um und lief davon.
Er rannte den Pfad zurück nach Winnerrow und rief über seine Schulter hinweg: »Nein! Nein! Ich will nichts mehr hören – sag es mir nicht! Sag es mir niemals!«
Ich wollte ihn einholen, aber seine Beine waren viel länger, und meine dünnen Absätze blieben in der weichen Erde stecken und hielten mich auf. Ich drehte mich um und ging den Pfad hinauf zur Hütte, um sie wiederzusehen. Ich war von ihrer Trostlosigkeit überwältigt. An der Wand war noch die helle Stelle, wo Vaters Tiger-Poster gehangen hatte, unter dem die Wiege für Tom und mich gestanden war. Ich starrte auf den gußeisernen Herd, der an den Stellen, an denen kein Schwamm wuchs, ganz rostig geworden war. Unter Tränen blickte ich auf die primitiven Holzsessel, die irgendein Casteel vor langer Zeit hergestellt hatte. Einige Sprossen hingen jetzt lose herunter, einige fehlten, und alle Dinge, die die Hütte verschönern sollten, waren verschwunden. Logan hatte all dies gesehen. Ich weinte, sehr lange und bitter, um alles, was ich nie besessen hatte und was ich vielleicht noch verlieren würde. Durch die Stille der Hütte heulte und ächzte der Wind. Es regnete. Schließlich erhob ich mich wieder und ging auf dem nassen Weg zurück nach Winnerrow, das für mich kein Zuhause war.
Cal lief auf der Veranda der Settertons auf und ab. »Wo warst du, daß du so durchnäßt, zerrissen und schmutzig zurückkommst?«
»Logan und ich haben das Grab meiner Mutter besucht…«, flüsterte ich heiser und ließ mich erschöpft auf eine Stufe nieder. Es war mir völlig gleichgültig, daß es regnete.
»Ich dachte mir so etwas.« Er setzte sich neben mich und achtete ebensowenig auf den Regen wie ich.
Er legte den Kopf in seine Hände. »Ich bin den ganzen Tag mit Kitty zusammen gewesen. Ich bin völlig fertig. Sie weigert sich, Nahrung zu sich zu nehmen. Sie haben sie an einen Tropf gehängt und fangen morgen mit den Bestrahlungen an. Sie ist nie zu einem Arzt gegangen, auch wenn sie dir das Gegenteil erzählt hat. Die Geschwulst besteht schon seit zwei, drei Jahren. Heaven, Kitty zieht es vor zu sterben, bevor sie das
Weitere Kostenlose Bücher