Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
weil Reva Setterton ihr viele Dinge angetan hatte, mit denen sie später mich quälte.
»Geh weg«, sagte Kitty mit letzter Kraft.
»Mutter!«
»Bin nicht deine Mutter.« Das Ausmaß des Schmerzes und der Enttäuschung, die sich in ihren Augen spiegelte, war so groß, daß ich aus Mitleid mit ihr zu Boden sah. »Wollt’ immer ‘ne Mutter sein, mehr als alles andere hatt’ ich mir gewünscht, mein eigenes Baby zu haben. Du hattest recht. Ich bin nicht geeignet, eine Mutter zu sein. War ich nie. Bin überhaupt fürs Leben nicht geeignet.«
»Kitty!«
»Laß mich!« protestierte sie schwach. »Hab’ das Recht, in Frieden zu sterben – wenn die Zeit gekommen ist, weiß ich, was zu tun ist.«
»Nein, du hast nicht das Recht zu sterben! Nicht, wenn du einen Ehemann hast, der dich liebt! Du mußt leben! Du hast Cal, und er braucht dich. Du mußt nur deinem Körper den Befehl geben zu kämpfen. Kitty, bitte, Cal zuliebe. Bitte. Er liebt dich. Er hat es immer schon getan!«
»Raus mit dir!« rief sie mit einer etwas kräftigeren Stimme. »Geh zu ihm! Paß auf ihn auf, wenn ich nicht mehr bin. Bald ist es soweit! Er gehört dir. Mein Geschenk an dich! Hab’ ihn nur genommen, weil er etwas von Luke an sich hatte – so wie Luke geworden wär’, wenn er in der Stadt bei einer vornehmen Familie aufgewachsen wär’.« Ein Schluchzen entrang sich tief aus ihrer Kehle, ein heiseres, bellendes Geräusch, das mir schier das Herz brach. »Als ich ihn zum ersten Mal sah und er sich zu mir an den Tisch setzte, kniff ich die Augen zusammen und tat so, als säße Luke vor mir. Und als ich mit ihm verheiratet war, konnte ich ihn nur an mich heranlassen, wenn ich mein Spiel spielte – und Luke aus ihm machte.«
Oh, Kitty, du große Närrin!
»Aber Cal ist ein wunderbarer Mann! Vater taugt nichts!«
Der blasse Schimmer in ihren Augen flammte auf.
»Das hab’ ich auch mein Leben lang über mich hören müssen! Aber ich bin nicht schlecht! Ich bin es nicht!«
Ich konnte es nicht mehr ertragen und ging hinaus an die frische Septemberluft.
Wie führte die Liebe doch den Verstand hinters Licht! Warum mußte es der eine Mann sein, wenn man die Wahl unter Tausenden treffen konnte? Aber auch ich hoffte ja auf Logan. Ich war ganz versessen darauf, ihn zu finden und zu hören, daß er mich verstand und mir verzieh. Als ich an der Stonewall-Apotheke vorbeikam, war weit und breit kein Logan zu sehen. Im Nieselregen stand ich unter einer Ulme gegenüber der Apotheke und starrte auf die Fenster des Appartements über dem Geschäft. War er oben und beobachtete mich? Dann sah ich seine Mutter an einem der Fenster, bevor sie die Vorhänge zuzog und mich aussperrte. Ich wußte, daß sie mich für immer aus dem Leben ihres Sohnes ausschließen wollte. Und wie recht sie hatte, wie recht…
Ich ging zur Brown Street, wo sich das einzige Motel der Stadt befand. Die zwei Zimmer, die Cal gemietet hatte, waren leer. Nachdem ich mich etwas erfrischt und trockene Kleidung angezogen hatte, ging ich wieder zurück in die Klinik. Dort traf ich Cal, der trostlos auf einem Sofa des Wartesaals saß und fahrig in einer Zeitschrift blätterte, die locker in seiner Hand lag. Als ich eintrat, hob er die Augen.
»Irgendwelche Veränderungen?«
»Nein«, gab er kurz angebunden zurück. »Wo warst du?«
»Ich habe gehofft, Logan anzutreffen.«
»Und?« erkundigte er sich trocken.
»Nichts…«
Er nahm meine Hand und hielt sie fest. »Was sollen wir tun? Wie sollen wir mit so einer Sache leben? Heaven, ich hatte gehofft, daß ihre Eltern eine Lösung wären. Aber ich habe mich getäuscht. Sie werden ihre finanzielle Unterstützung zurückziehen. Jetzt kommt es auf mich und auf dich an und auf niemanden sonst, bis sie wieder gesund ist oder nicht mehr lebt…«
»Dann eben du und ich«, sagte ich und setzte mich, wobei ich seine Hand weiter in der meinen hielt. »Ich kann arbeiten gehen.«
Er sprach kein Wort mehr. So saßen wir eine Weile, während er die Wand anstarrte.
Wir wohnten zwei Wochen in dem Motel. Ich hatte Logan nicht mehr gesehen. Er war bestimmt wieder im College und hatte sich nicht einmal von mir verabschiedet. Die Schule begann wieder. Mir wurde nun sehr deutlich bewußt, daß ich vielleicht nie wieder einen Klassenraum betreten würde und daß ein College-Besuch nur ein flüchtiger Traum gewesen war, eine Wolke, die sich bei Sonnenuntergang schnell in nichts auflöste. Und ich fand auch keinen Job, obwohl ich geglaubt hatte, daß
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