Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
was auf Sie zukommt.«
»Ein entzückendes Kind, ein ganz entzückendes Kind, das sich gut entwickeln wird«, flötete die dicke Dame und hielt das Ärmchen Unserer-Jane fest, damit sie ihr nicht entkam und zu mir rannte. »Ein nettes Kerlchen«, fügte sie hinzu, während sie Keith über den Kopf streichelte. Er stand, wie immer, neben seiner Schwester und hielt ihre Hand. Wenn sie nicht davonlief, dann würde er es auch nicht tun.
Ich weinte. Ich würde einen Bruder und eine Schwester verlieren, die ich mit großgezogen hatte. Erinnerungen, wie sie als Babys und Kleinkinder ausgesehen hatten, kamen auf einmal zurück und füllten meine Augen erneut mit Tränen. Ich sah Bilder aus der Vergangenheit vor mir: Wir waren alle auf einer Bergwiese und brachten Unserer-Jane das Gehen bei. Wie goldig sie ausgesehen hatte mit ihren krummen Beinchen, den winzigen Zehen und den Ärmchen, die sie ausgestreckt hatte, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Tom und ich halfen Keith bei seinen ersten Schritten. Ich lehrte Keith und Unsere-Jane, deutlich und richtig zu sprechen, und Fanny war immer eifersüchtig gewesen, weil sie mich am meisten liebten und dann Tom.
Ich war wie gelähmt und gebannt von Vaters dunklem, zornigem Blick, der mich warnte, nicht wieder zu sprechen. Vater nahm so viel Geld entgegen, wie er es noch nie in seinem Leben besessen hatte.
Eintausend Dollar.
Seine Augen glühten vor Erregung.
»Fanny, es fängt zu regnen an«, sagte Vater. Anscheinend war er besorgt um die teuer und warm gekleideten Leute, während er uns gegenüber niemals Besorgnis gezeigt hatte. »Hol den alten Regenschirm, der irgendwo sein muß, damit die Dame nicht ihre schöne Frisur kaputtmacht.«
Vater nahm Unsere-Jane und Keith auf seine Arme und befahl ihnen, still zu sein. Ich rannte hinaus, um ihnen eine Decke zu holen.
Ich kam mit unserer besten Decke, die Großmutter vor Jahren genäht hatte, zurück. »Sie haben weder Mäntel noch Mützen, noch Stiefel«, sagte ich aufgeregt. »Bitte, seien Sie gut zu ihnen – geben Sie ihnen viel Orangensaft und Obst. Und Fleisch, wir hatten eigentlich nie genug Fleisch. Unsere-Jane liebt Obst, sie ißt kaum etwas anderes. Keith hat einen guten Appetit, auch wenn er sich oft erkältet. Beide haben Alpträume, bitte lassen Sie daher ein kleines Licht im Zimmer an, damit sie keine Angst vor der Dunkelheit bekommen…«
»Sei still«, zischte Vater.
»Aber Kind, natürlich werde ich zu deinem Bruder und deiner Schwester gut sein«, sagte die Dame freundlich, streichelte mir über die Wange und schien Mitleid zu haben. »Wie nett du bist, wie eine richtige kleine Mutti. Mach dir keine Sorgen um die beiden. Ich bin keine böse Frau, und Lester ist kein böser Mann. Wir werden gut zu ihnen sein, sie einkleiden, und außerdem erwartet sie bei uns Weihnachten, an dem sie alles haben können, was ihr Herz begehrt. Wir wußten nicht, ob wir den Jungen oder das Mädchen nehmen, also haben wir Spielsachen gekauft, die für beide geeignet sind… ein Schaukelpferd, ein Dreirad, ein Puppenhaus, Lastwagen, Autos und Kleidung… allerdings zuwenig für zwei. Aber sie können sich die Sachen teilen, bis wir wieder einen Einkauf machen. Das werden wir morgen erledigen. Wir werden ihnen alles kaufen, was sie brauchen. Weine nicht, und mache dir keine Sorgen. Wir werden uns bemühen, gute Eltern zu sein, nicht wahr, Lester?«
»Ja, natürlich«, antwortete Lester kurz angebunden und drängte zum Aufbruch. »Komm, laß uns gehen, Liebling. Es wird spät, und wir haben noch eine weite Strecke vor uns.«
Vater überreichte Unsere-Jane jetzt der Frau, und der Mann trug Keith, der sich jetzt nicht mehr wehrte, sondern – wie Unsere-Jane – nur noch schrie.
»Hev-lee… Hev-lee!« schluchzte Unsere-Jane und streckte ihre dünnen Arme nach mir aus. »Will nicht fort, will nicht…«
»Schnell, Lester. Ich kann es nicht hören, wie das Kind weint.« Beide eilten mit den schreienden Kindern im Arm zur Tür hinaus, während Vater sie devot begleitete, mit dem Regenschirm in der Hand, den er über die Köpfe der Dame und Unserer-Jane hielt.
Ich sank weinend zu Boden.
Tom eilte ans Fenster, und obwohl ich es nicht sehen wollte, trieb es auch mich dorthin. Ich stellte mich neben ihn und sah hinaus. Fanny kniete davor und sagte: »Ich wünschte, sie hätten mich ausgesucht. O heiliger Bimbam, ich wünschte mir, ich könnt’ all die Weihnachtsgeschenke haben! Warum wollten sie nicht mich, anstatt
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