Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Tom entsetzt, »das soll wohl ‘n Witz sein?«
»Halt den Mund, Junge«, warnte Vater in einem bedrohlichen Ton. »Mach’ hier keine Witze. Es ist mir Ernst. Bin zu dem Entschluß gekommen, daß es das Beste ist. Der einzige Weg aus der Not. Wenigstens wird einer von euch nicht verhungern.«
War das die Weihnachtsüberraschung? Daß Keith oder Unsere-Jane verkauft werden sollte?
Mir wurde schlecht. Meine Arme drückten Unsere-Jane ganz fest an meine Brust, und ich vergrub mein Gesicht in ihre weichen Locken.
Vater ging zur Tür, um das Paar aus dem schwarzen Auto hereinzulassen.
Eine dicke Dame in Stöckelschuhen trat ein, ihr folgte ein noch dickerer Mann. Beide trugen schwere Mäntel mit Pelzkragen und Handschuhen. Ihr glückliches Lächeln verschwand in dem Augenblick, als sie unsere feindseligen Gesichter erblickten. Langsam sahen sie sich um, tief entsetzt über so viel Elend.
Nirgendwo stand ein Weihnachtsbaum. Es gab keine Geschenke, keinen Schmuck, keine Pakete.
Und Vater wollte seine Kinder verkaufen.
Die Augen der Städter waren ungläubig aufgerissen. »Oh, Lester«, rief die ziemlich hübsche, mollige Dame, kniete sich vor Keith hin und wollte ihn an ihre riesige Brust drücken, »hast du gehört, was er gesagt hat, als wir die Treppen hochgegangen sind? Wir können dieses liebe, schöne Kind nicht verhungern lassen! Schau doch, seine seidigen Haare. Er ist so sauber und schaut so lieb drein. Und das süße, kleine Mädchen, das die Ältere in den Armen hält – ist es nicht entzückend?«
Panik ergriff mich. Warum hatte ich auch nur beide gestern noch gebadet und ihnen die Haare gewaschen? Warum waren sie nicht verdreckt, damit sie der Frau nicht gefielen? Ich schluchzte und hielt Unsere-Jane noch fester umschlungen, während sie sich zitternd an mich klammerte. Vielleicht würde es Unserer-Jane und Keith wirklich besser gehen – aber was wurde dann mit mir? Es waren doch meine Kinder, nicht ihre. Sie hatte nicht die ganze Nacht bei ihnen gewacht, und sie hatte sie nicht auf den Armen auf und ab getragen und nicht stundenlang gefüttert, anstatt im Freien zu spielen.
»Unsere-Jane ist erst sieben Jahre alt.« Meine Stimme klang brüchig, aber ich war fest entschlossen, Unsere-Jane vor dieser Frau und ihrem Mann zu beschützen. »Weder sie noch Keith sind je von zu Hause fort gewesen. Man darf sie nicht trennen; sie werden weinen und schreien und wahrscheinlich vor Kummer sterben.«
»Sieben«, murmelte die Frau anscheinend entsetzt. »Ich dachte, sie wäre jünger. Ich wollte eigentlich ein jüngeres Kind. Lester, stell dir vor, das Kind ist schon sieben Jahre alt – und der Junge?«
»Acht Jahre«, rief ich. »Zu alt zum Adoptieren! Und Unsere-Jane kränkelt«, fuhr ich fort, in der Hoffnung, damit etwas zu erreichen. »Sie war eigentlich nie gesund. Sie erbricht sich oft, schnappt jede Krankheit auf, ist dauernd erkältet und hat oft hohes Fieber…« Ich hätte immer so weiterreden können und Unserer-Jane die Chance verdorben – selbst wenn es zu ihrem Besten gewesen wäre –, aber Vater sah mich zornig an, und ich verstummte.
»Dann nehmen wir den kleinen Jungen«, sagte der dicke Mann namens Lester und zog seine gefüllte Brieftasche hervor. »Ich wollte schon immer einen Sohn, und dieser Bursche ist ein gutaussehender junger Mann und seinen Preis wert, Mr. Casteel. Fünfhundert, abgemacht?«
Unsere-Jane fing zu schreien an.
»Nein! Nein! Nein!« brüllte sie mir direkt ins Ohr.
Sie wand sich aus meiner Umklammerung, dabei schluchzte sie vor Verzweiflung, die für das zarte Mädchen viel zu groß war. Keith sah sie leiden, begann mit ihr zu weinen, und klammerte sich an seiner Schwester fest.
Wieder suchte ich verzweifelt nach Worten: »Keith ist nicht der Junge, den Sie sich als Sohn wünschen. Er ist sehr still, er fürchtet sich vor der Dunkelheit und hat die meiste Zeit Angst. Außerdem kann er nicht ohne seine Schwester sein. Du willst doch nicht fort, nicht wahr, Keith?«
»Will nicht gehen!« schrie Keith.
»Nein! Nein! Nein!« jammerte Unsere-Jane.
»Ach Lester, ist das nicht entsetzlich traurig? Wir können die zwei lieben Kleinen nicht auseinanderreißen. Lester, warum nehmen wir nicht alle beide? Wir können es uns doch leisten. Dann brauchen sie nicht mehr so zu weinen, und die Familie wird ihnen nicht ganz so fehlen. Und du wirst einen Sohn und ich eine Tochter haben, und wir werden eine glückliche, vierköpfige Familie sein.«
Mein Gott, ich wollte beide
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