Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
schwören«, flüsterte Tom, damit Großvater ihn nicht hörte, »daß wir bei der ersten Gelegenheit, die sich uns bietet, fliehen und daß wir immer zusammenhalten, durch dick und dünn, einer für alle, alle für einen… Heavenly, wir haben uns das schon mal geschworen. Jetzt kommt Fanny dazu. Fanny, leg deine Hand auf meine. Aber zuerst leg deine Hand aufs Herz und schwör, daß nur der Tod uns trennen kann.«
Fanny zögerte einen Augenblick, legte aber dann in einer seltenen Regung von Kameradschaft ihre Hand auf meine Hand, die auf Toms lag. »Wir schwören feierlich…«
»Wir schwören feierlich…« wiederholten Fanny und ich.
»Daß wir immer zusammenhalten werden in guten wie in schlechten Tagen…«
Wieder zögerte Fanny. »Warum mußt du die schlechten Tage erwähnen? Hört sich ja an wie bei einer Hochzeit, Tom.«
»Also gut, durch dick und dünn, in Freud und Leid, bis wir Unsere-Jane und Keith wiederhaben. Seid ihr mit diesem Satz einverstanden?«
»Sehr gut, Tom«, sagte ich und wiederholte seinen Schwur. Sogar Fanny war beeindruckt und verhielt sich zum ersten Mal wie eine richtige Schwester; sie schmiegte sich an mich, und wir redeten über unsere Zukunft, die uns draußen in der großen unbekannten Welt erwartete. Fanny half mir und Tom im Wald nach Beeren zu suchen, während wir darauf warteten, daß der Fluß wieder zurückging und die Brücken repariert wurden.
»He«, sagte Tom Stunden später, »mir ist grad etwas eingefallen. Zwanzig Meilen von hier entfernt gibt es noch eine Brücke. Wenn wir fest entschlossen sind, könnten wir sie erreichen. Wenn wir aber über zwanzig Meilen marschieren wollen, dann brauchen wir pro Kopf mehr als eine Haselnuß, das kann ich dir gleich sagen, Heaven – «
»Meinst du, daß wir es mit zwei Nüssen pro Kopf schaffen?« fragte ich, da ich schon mit so einer Notsituation gerechnet hatte.
»Ja, mit so viel Kraftfutter schaffen wir es glatt bis Florida«, sagte Tom lachend, »was fast genausogut wie Kalifornien ist.«
Wir zogen alle unsere besten Sachen an. Ich verscheuchte die Gedanken daran, daß wir nun Großvater alleine lassen mußten. Fanny wartete schon ungeduldig darauf, die Hütte zu verlassen, in der nur noch Trübsinn, Alter und Hoffnungslosigkeit herrschten. Mit schlechtem Gewissen und schweren Herzens küßten wir Großvater zum Abschied. Er stand zitternd auf, lächelte uns an und nickte, so als könnte ihn im Leben nichts mehr überraschen.
Ich hielt den Koffer in meiner Hand. Nun hatte Fanny ihn schließlich doch entdeckt, aber ihre Aufregung darüber wurde von der Tatsache gedämpft, daß wir nun aufbrachen… irgendwohin.
»Auf Wiedersehen«, riefen wir einstimmig. Während Tom und Fanny hinauseilten, blieb ich noch zurück. »Großvater«, sagte ich verlegen und betroffen, »es tut mir leid, daß ich dir das antun muß. Ich weiß, daß es nicht richtig ist, dich allein zu lassen, aber wir müssen es tun, sonst werden wir noch wie Keith und Unsere-Jane verkauft. Bitte, versteh uns.«
Er starrte vor sich hin, in der einen Hand hielt er ein Messer, in der anderen ein Stück Holz, seine dünnen Haare bewegten sich leicht im Wind. »Wenn wir erwachsen geworden sind und Vater uns nicht mehr verkaufen kann, kommen wir wieder.«
»Ist schon gut, Kind«, flüsterte Großvater mit gesenktem Kopf, so daß ich seine Tränen nicht sehen konnte. »Paß auf dich auf.«
»Ich hab’ dich lieb, Großvater. Ich hab’s vielleicht noch nie zu dir gesagt, ich weiß auch nicht warum, aber es ist so.«
Ich trat auf ihn zu und umarmte und küßte ihn. Er roch säuerlich und fühlte sich zerbrechlich an. »Wir würden dich nicht verlassen, wenn wir einen Ausweg wüßten, aber wir müssen einen besseren Ort für uns finden.« Wieder lächelte er mit Tränen in den Augen, nickte mir zu, als schenkte er meinen Worten Glauben und schaukelte weiter. »Luke wird bald mit was zu essen zurückkommen – mach dir da keine Sorgen. Verzeih mir, daß ich dir böse Sachen gesagt hab’, ich hab’ es nicht so gemeint.«
»Was hast du denn für böse Sachen gesagt?« donnerte eine Stimme durch die offene Tür.
10. KAPITEL
W IR NEHMEN A BSCHIED
Vater stand in der Tür und blickte uns finster an. Er trug eine dicke rote Jacke, die ihm bis an die Hüften reichte. Nagelneu! Seine Stiefel waren von so guter Qualität, wie ich sie noch nie an ihm gesehen hatte und seine Hose auch. Seine pelzgefütterte Mütze hatte Ohrenschützer. Unter dem
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