Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
Stell dir einmal vor, was das für Winnerow und die Leute aus den Bergen bedeutet! Wir würden sie einstellen für die kunsthandwerklichen Arbeiten. Wir hätten Arbeitsplätze für Leute, die heute kaum das Nötigste für ihre Existenz zusammenkratzen können. Sie könnten sich dann anständige Häuser bauen und ihren Kindern etwas Vernünftiges zum Anziehen kaufen…«
»Eine Fabrik? In Winnerow?«
»Ja.« Er begann, im Zimmer auf und ab zu gehen, und redete voller Begeisterung weiter. »Was wir als erstes herstellen werden, ist eine Spielzeugausgabe der Berghütten: mit kleinen Schaukelstühlen, mit Nachbildungen von den alten Leuten wie deinem Großvater und deiner Grandma, mit ihrem Strickzeug, von den Haustieren, den Kindern, die zur Schule aufbrechen…«
»Das ist der Grund, weshalb er mir gestern abend so viele Fragen über Winnerow gestellt hat«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Logan. Er nickte. Ich mußte mir eingestehen, daß dieser Vorschlag meinem Widerstand den Wind aus den Segeln nahm. Ich lehnte mich tief in Gedanken versunken zurück. Logan faßte wieder Mut und kam auf mich zu.
»Ist das nicht ein wunderbarer Gedanke? Wir nennen den neuen Satz die ›Willies‹, und bedenke die Ironie, die dahintersteckt, wenn die reichen Leute das Abbild vom Leben der Armen kaufen! So findet ihr Geld seinen Weg in die Taschen der Armen, die in den Tatterton-Spielzeugwerken arbeiten, Heaven«, sagte er dann, und seine Stimme klang ein bißchen frustriert, »wie kannst du nur so dasitzen und mich anstarren? Findest du das nicht aufregend?«
»Doch, ich finde es aufregend«, gab ich zu. »Aber es kommt alles so schnell. Ich muß über vieles nachdenken. Ich hatte so etwas nicht erwartet. Wir wollten einfach nur für ein paar Tage vorbeikommen und dann nach Virginia fahren. Ich hatte keine Ahnung, daß dieser Kurzbesuch in eine vollständige Änderung unseres Lebens münden würde.«
»Aber sicher, ich verstehe, wie du dich fühlst«, sagte er. »Es ist ziemlich viel auf einmal, aber das ist bei großen und wichtigen Entscheidungen immer so.«
»Das hört sich mehr nach Tony an.«
»Das hat er auch gesagt.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte ich. »Wo ist er überhaupt?« Ich schaute auf die Tür.
»Er kümmert sich um ein paar Einzelheiten wegen des Empfangs.«
»Wie passend«, sagte ich. »Er wußte schon, was er getan hat, als er dich schickte, um mich zu überzeugen.«
»Er hat mich nicht geschickt, Heaven. Ich wollte auf jeden Fall zuerst mit dir reden.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich war verwirrt und wußte nicht, ob ich nur eine Schachfigur in einem Spiel war oder ob sich hier die Chance meines Lebens bot. So ging es mir jedes Mal, wenn Tony mich in seine Vorstellungen einbezog.
»Männer wie Tony kriegen immer das, was sie wollen«, murmelte ich.
»Wirklich, Heaven«, sagte Logan, »was ist daran falsch?« Ich schaute zu ihm auf. Ich verstand Logans Aufregung und Freude. Aber die Veränderung, die sich bei ihm schon deutlich zeigte, gefiel mir gar nicht. Er war zu geblendet von Tony und von allem, was man mit Geld machen konnte. Logan war früher nie an Macht und Reichtum interessiert gewesen. Es erstaunte mich, wie überzeugend und von welch starkem Einfluß Tony sein konnte.
»Es ist in Ordnung, wenn du das bekommst, was du willst«, sagte ich, »solange dabei nicht andere Leute verletzt werden.«
»Wer wird hierbei verletzt? Den Leuten wird geholfen, Heaven«, sagte Logan, jetzt mit ruhiger Stimme. »Früher oder später wäre etwas in dieser Art sowieso gekommen. Ob du es magst oder nicht, du bist nun einmal die Erbin der Tatterton-Spielzeugwerke und des Vermögens. Es gibt niemanden außer dir. Ich verstehe Tonys Wunsch und seine Entschlossenheit, uns einzubeziehen. Wie kannst du ihm das vorwerfen?«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich werfe es ihm nicht vor.«
»Was ist dann?«
Was sollte ich sagen? Wenn ich doch nur wie ein normales Mädchen aufgewachsen wäre, mit Mutter und Vater, die immer da waren, und Geschwistern, die immer zusammenhielten. Statt dessen war ich von einer schimpfenden Familie zur anderen gezerrt worden. Wäre es anders gewesen, würden mir solche Krisen und Entscheidungen nicht derartig schwerfallen, dachte ich. War ich eine Tatterton, wie Tony es wollte, oder war ich eine Casteel, wie ich es den größten Teil meines Lebens gewesen war? Lief ich immer noch vor meinem wahren Ich davon? Ich hatte gehofft, diese Probleme dadurch zu überwinden, daß ich Mrs.
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