Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
dennoch vom Wasser getragen. Meine Stiefel hatte ich verloren. Ich sah, wie Abdulla Bar hochgehoben und wieder an die Küste gespült wurde, bis er Grund verspürte und selbst hinaus an den Strand gelangen konnte.
Ich schloß die Augen und wartete auf die mächtige See, die großen Wellen, denen ich oft zugehört und die ich allein nachts angestarrt hatte, fasziniert von ihrer Schönheit und Stärke, auf daß sie mich in ihre kalte Dunkelheit mit hinabnehmen würden.
Aber statt dessen wurde ich umhergeworfen, bis ich das Bewußtsein verlor. Als ich wieder zu mir kam, lag ich ausgestreckt auf dem Strand, ein bißchen weiter unten an der Küste. Ich war am Leben, mein Wunsch nach einem schnellen, schmerzlosen Tod war nicht erfüllt worden. Während ich da lag und mich selbst bemitleidete, wurde mir klar, daß mir die See zumindest einen Ausweg verschafft hatte – sie hatte mir die Möglichkeit eröffnet, mich für tot erklären zu lassen. Nun konnte ich wirklich meine Identität und mein Leben in Farthy hinter mir lassen. So hatte ich doch noch eine Flucht aus einem Teil meines Elends bewerkstelligt.
Also raffte ich mich auf. Ohne daß irgend jemand erfuhr, was mir wirklich zugestoßen war, nicht einmal Tony, gerade Tony nicht, kehrte ich heimlich zur Hütte zurück – zum letzten Mal, wie ich glaubte –, um ein paar Dinge zu holen, die ich benötigte. Dann ging ich, um in die Dunkelheit der Nacht zu verschwinden.«
Er lehnte sich wieder zurück, als wenn das alles erklärt hätte. Der Schock und mein Erstaunen wurden schnell durch zornige Gefühle beiseite gedrängt. Oh, oh, oh! All der Schmerz, den er verursacht hatte – daß er mich annehmen ließ, er sei tot. Und jetzt war es zu spät. Zu spät für unser Zusammensein! Wie konnte er mich nur so leiden lassen, wenn er doch am Leben war? Lebendig die ganze Zeit über!
»Aber was ist mit dem Leid, das du uns zugefügt hast, weil du uns im Glauben gelassen hast, daß du gestorben warst? Verstehst du nicht, was das für mich bedeutet hat?«
»Ich glaubte, daß es nichts sei im Vergleich zu dem Schmerz, den du hättest erdulden müssen, wenn du mit dem Wissen, daß ich in der Nähe bin, hättest leben müssen. Wenn du gewußt hättest, daß wir niemals Liebende sein können; daß auch ich diese Marter würde ertragen müssen. Mir war bewußt, daß es in einer Hinsicht selbstsüchtig war, aber ich hielt es für besser.
Es war besser«, fügte er nickend hinzu. »Sieh doch, Heaven, du hast dein Leben neu aufgebaut und Wichtiges vollbracht. Wenn du vielleicht angenommen hättest, daß ich noch hier in der Hütte lebte, hättest du Farthy niemals verlassen. Vielleicht wärst du wie Jillian. Ich weiß es nicht. Ich dachte, ich hätte das Beste für uns beide getan. Und ich hoffe, du wirst das auch so sehen. Es wäre unerträglich für mich, wenn du mich jetzt hassen würdest«, sagte er. Seine Augen waren voller Angst.
»Ich hasse dich nicht, Troy«, sagte ich. »Ich kann dich nicht hassen. Ich hasse nur, was geschehen ist. Was hast du getan, nachdem du den Strand verlassen hast?«
»Ich bin herumgereist.« Er setzte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während er sprach und sich dabei an seine verborgene Existenz erinnerte. »Ich fuhr nach Italien und studierte die großen Meister der Kunst und Architektur. Dann reiste ich nach Spanien und Frankreich. Mit Reisen und Ablenkungen versuchte ich Erleichterung für meine Leiden zu finden. Eine gewisse Zeit über gelang mir das sogar. Ich brachte mich selbst an den Rand der Erschöpfung, indem ich mich von Ort zu Ort bewegte, und dann – « er machte eine Pause, richtete sich im Stuhl wieder auf und beugte sich erneut zu mir hinüber – »plötzlich wachte ich eines Nachts in England auf. Ich logierte in einem Gasthaus in der Nähe von Dover Beach. Dorthin war ich gereist, weil ich immer wieder an jenes Gedicht von Mathew Arnold denken mußte. Erinnerst du dich daran? Einst habe ich es dir vorgelesen. Zeilen daraus verfolgten mich. Träume… Ah, Liebe, laß uns einander treu sein, denn die Welt, die vor uns liegt wie ein Land der Träume, so voller Abwechslung, so schön, so neu, ist in Wirklichkeit weder mit Freude, noch Liebe, noch Licht, noch Sicherheit, noch Friede, noch Hilfe für den Schmerz angefüllt…
Es schien mir so wahr zu sein, besonders im Hinblick auf uns. Dort lag ich unter meiner Daunendecke und lauschte dem Meeresrauschen und meinte, deine Stimme zu hören; ich glaubte, daß
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