Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
Nacht bei mir warst. Ich konnte ihm das jetzt nicht antun. Vielleicht willst Du es ihm irgendwann später sagen. Ich überlasse das Dir.
Du fragst Dich sicher, warum ich es für nötig hielt, so schnell nach Jillians Tod aufzubrechen.
Meine liebste Heaven, es wird schwer für Dich sein, es zu verstehen, aber ich fühle mich irgendwie verantwortlich. In Wahrheit hat es mir Spaß gemacht, sie mit meinem Erscheinen zu erschrecken. Wie ich Dir sagte, hat sie mich einige Male gesehen, und ich weiß, daß es sie jedes Mal fürchterlich erschreckt hat. Ich hätte ihr erzählen können, daß ich nicht tot bin, daß ich kein Geist bin, aber ich ließ sie lieber in dem Glauben, daß sie ein Gespenst sieht. Ich wollte sie ihre Schuld sühnen lassen, obwohl es eigentlich nicht ihr Fehler war, daß Du die Tochter von Tony bist. Ich habe es ihr immer vorgeworfen, daß sie uns diese entsetzliche Wahrheit aufgedeckt hat. Sie war immer schon sehr eifersüchtig, neidisch auf die Zuneigung, die Tony mir entgegenbrachte, selbst als ich noch ein kleiner Junge war.
Nun fühle ich mich schuldig. Ich hatte nicht das Recht, sie zu bestrafen. Ich hätte erkennen müssen, daß es für Tony und für Dich sehr schmerzlich sein würde. Anscheinend bringe ich allen nur Trauer und Schmerz. Natürlich denkt Tony anders darüber. Er wollte mich nicht gehen lassen, aber ich habe ihn schließlich überzeugt.
Bitte kümmere Dich um ihn in dieser schweren Zeit und versuche, ihn zu trösten. Du mußt es für uns beide tun.
Ich denke, wir werden uns jetzt nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, geschweige denn, uns berühren wie in der letzten Nacht. Aber die Erinnerung an Dich ist so lebendig in meinem Herzen, daß ich Dich bei mir habe, wohin ich auch gehe.
Für immer und ewig
Troy
Ich faltete den Brief säuberlich zusammen und steckte ihn wieder in den Umschlag. Dann stand ich auf und ging zur Eingangstür. Ich schloß sie auf und ließ noch einmal meinen Blick durch die Hütte schweifen. Dann ging ich hinaus und schloß die Tür hinter mir ab. Ohne mich noch einmal umzusehen, lief ich durch das Labyrinth, entlang an den Mauern der Hecken. Nur mein Schluchzen folgte mir, und ich lief schneller und schneller in der Hoffnung, jenem Teil von mir zu entfliehen, der in einem Traum gelebt hatte. Dieser Teil sollte verflucht sein, für immer hier zu bleiben, gefangen in dem Labyrinth.
9. KAPITEL
Altes Leben, neues Leben
Als Logan endlich ankam, lag ich in unserem Zimmer in meinem Bett. Ich hatte mich in den Schlaf geweint und wachte mit einem rauhen Hals auf. Mein Herz war schwer wie ein Stein. Ich lag einfach da und starrte die Decke an. Der Kummer hatte mich ergriffen und zu seiner stummen Gefangenen gemacht. Ich drehte mich nicht einmal zur Begrüßung um, als Logan das Schlafzimmer betrat.
»Heaven!« Er eilte auf mich zu und nahm mich in den Arm. Obwohl ich mir in seinen Armen kraftlos vorkam, genoß ich doch seine starke, tröstende Umarmung und den Duft seines After-shaves.
»Arme Heaven«, flüsterte er und streichelte dabei meinen Rücken.
Ich legte meinen Kopf an seine Schulter. Ich fühlte mich falsch, ich betrog ihn. Ich wußte, er dachte, mein Kummer wäre einzig durch den Tod von Jillian verursacht, und ich ließ ihn in dem Glauben. Er legte sein Gesicht an meines und küßte mich.
»Es muß schrecklich für dich gewesen sein«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich nicht hier war, als du sie gefunden hast. Tony nimmt es sehr schwer«, fügte er hinzu. »Ich habe bei ihm im Büro vorbeigeschaut, ehe ich zu dir kam, und er wollte kaum reden. Was soll ich denn tun? Kann ich etwas helfen? Tony wollte es nicht sagen.«
»Ich glaube, nichts«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Ich schaute ihn an, meinen treuen, mir ergebenen Logan, der so voller Kraft, optimistisch und tatkräftig war. Er war gesund und lebendig. Es war unvorstellbar, daß er deprimiert und schwach sein könnte. Selbst jetzt, in dieser sorgenvollen Zeit, zeigte er die gleiche, selbstverständliche Sicherheit wie damals, als ich ihn zum ersten Mal erblickt hatte.
Wie anders war er doch als Troy, der immer unter der drohenden Wolke von Sorgen lebte. Natürlich war Logan nicht so sensibel und poetisch, doch zu diesem Zeitpunkt war mir der Sonnenschein, den er verbreitete, so willkommen wie den Wildblumen in den Willies die Strahlen der Sonne, die durch die Dämmerung des Waldes brachen. Ich wußte, er würde mich stützen, wenn ich
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