Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
unwohl fühlte ich mich plötzlich. Hastig blickte ich zum Haus, aber niemand war mir gefolgt; niemand wußte, daß ich hier war.
Als ich mich wieder dem Fremden zuwandte, bemerkte ich, daß sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen hatten. Und in diesem Lächeln, ebenso wie in seinen dunklen, braunen Augen war etwas, das mir ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelte.
»Du brauchst mir nicht zu sagen, wer du bist«, sagte er, und seine Stimme klang warm und beruhigend, beinahe zärtlich. »Du bist Heavens Tochter – auch wenn du mit dieser Haarfarbe eher Leigh ähnlich siehst. Sag, ist es deine wirkliche Haarfarbe, oder hast du sie gefärbt wie deine Mutter damals?«
»Wer sind Sie?« fragte ich abermals und diesmal noch viel eindringlicher. Ich sah ihm an, daß er nachdachte und sich überlegte, ob er weiter mit mir sprechen oder sich rasch zurückziehen sollte. Doch irgend etwas schien ihn zu zwingen, bei mir zu bleiben.
»Ich? Ich heiße… Brothers. Timothy Brothers.«
»Aber wer sind Sie? Ich meine, woher wissen Sie so gut über meine Mutter Bescheid? Und woher wußten Sie, daß sie sich die Haare färben ließ?«
»Ich arbeite für Mr. Tatterton.«
Ich lehnte mich zurück. Er sah überhaupt nicht aus wie einer der Arbeiter, und Rye hatte mir auch nichts von einem Gärtner erzählt, der so aussah wie er. Sicher, Rye mochte auch einmal etwas vergessen, aber dieser Mann hier sah nicht so aus, als würde er schwere Arbeit verrichten. Er strahlte eine Sanftheit aus, eine Vornehmheit, die eher zu einem geistig arbeitenden Menschen paßte.
»Oh! Und was arbeiten Sie für Mr. Tatterton?«
»Ich… entwerfe Spielsachen.«
»Sie entwerfen Spielsachen?«
»Sieh mich nicht so erstaunt an, Annie. Irgend jemand muß es doch schließlich tun.«
»Woher wissen Sie meinen Namen?« fragte ich überrascht.
»Oh, mittlerweile kennt jeder deinen Namen. Mr. Tatterton erzählt so viel von dir.«
Ich konnte meinen Blick nicht von seinen Augen abwenden, denn ich spürte, daß dieser Mann Geheimnisse hütet, die er nicht preisgeben wollte.
»Und was haben Sie da hinter der Hecke gemacht? Sie werden doch wohl nicht dort Ihre Spielsachen entwerfen?«
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte.
»Nein, sicher nicht. Ich bin gerade spazierengegangen, als ich dich kommen sah.«
»Wo wohnen Sie? Ebenfalls in Farthy?«
»Nein, ich wohne auf der anderen Seite des Irrgartens. Dort entwerfe ich auch die Spielsachen.«
»Auf der anderen Seite des Irrgartens? Ist das nicht… steht dort nicht eine Hütte?« fragte ich schnell.
»Oh, du hast von der Hütte gehört?« Ich nickte. »Hat dir deine Mutter davon erzählt?«
»Nein. Sie hat mir überhaupt nicht viel von Farthy erzählt. Sie hatte nie besondere Lust, darüber zu sprechen.«
Er nickte bedächtig, und sein Gesicht wurde traurig. Dann wandte er die Augen von mir ab und starrte auf den Friedhof der Tattertons. Dabei ließ er die Schultern ein wenig hängen, so wie ich es immer tat, wenn ich in melancholischer Stimmung war. Kurz darauf nahm er seine rechte Hand aus der Hosentasche und kämmte damit sein Haar zurück. Seine Finger wirkten lang, sensibel und stark – die Finger eines Künstlers. Sie waren den meinen sehr ähnlich. Vielleicht werden manche Menschen wirklich als Künstler geboren, dachte ich.
»Es tut mir sehr leid, was mit deinen Eltern passiert ist«, sagte er beinahe flüsternd, ohne mich dabei anzusehen.
»Danke.«
Er blickte mich wieder an. »Du kennst also auch den Irrgarten. Jetzt würde ich aber zu gerne erfahren, wie du ihn findest.«
»Er sieht so geheimnisvoll aus.«
»Das ist er auch – jedenfalls für diejenigen, die ihn nicht kennen. Würdest du ihn gerne durchqueren?«
»Durchqueren? Sie meinen… auf die andere Seite?«
»Warum nicht?« Er blickte nach oben, hinauf zu dem blauen Himmel, der hier und dort mit langen, dünnen Wolkenbändern durchzogen war. »Es ist ein wunderbarer Tag für einen Spaziergang. Ich würde dich gerne durch den Irrgarten schieben.«
Ich wollte zuerst ablehnen, obwohl ich gar zu gerne den Irrgarten erforschen und die Hütte mit eigenen Augen sehen wollte. Mr. Brothers war sehr höflich und freundlich, doch schließlich kannte ich ihn ja überhaupt nicht! Was mochten die anderen von mir denken, wenn ich einfach so mit ihm gehen würde, fragte ich mich. Andererseits arbeitete er für Tony, und Tony würde sicherlich ohnehin ungehalten sein, weil ich das Haus verlassen hatte. Ich konnte also
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