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Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden

Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden

Titel: Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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triefte vor Sarkasmus. »Weißt du, Bücher sind nicht alles im Leben«, fügte er altklug hinzu. »Es ist nämlich auch wichtig, daß man die Menschen kennt, daß sie einen mögen und respektieren. Das ist das Geheimnis des Erfolgs. Die Leute, die heute leitende Positionen innehaben, haben oft mehr auf dem Sportplatz als im Klassenzimmer gelernt«, meinte er belehrend und schwang dabei den schlanken Zeigefinger der rechten Hand in der Luft. Luke antwortete nicht. Er strich sich mit den Händen das Haar zurück und betrachtete Drake mit einem stoischen, durchdringenden Blick, den dieser nicht ertragen konnte. »Ach, ich weiß, ich verschwende nur meine Zeit.«
    Damit wandte sich Drake wieder meinem Bild zu:
    »Ich habe dir doch schon gesagt, daß Farthy grau und nicht blau ist«, wies er mich zurecht.
    »Du warst doch erst fünf Jahre alt, als du dort gewohnt hast. Wie kannst du dir da so sicher sein?« warf Luke ein.
    »So ein riesiges Haus vergißt man nicht«, sagte Drake und kräuselte die Lippen.
    »Aber du hast auch gesagt, daß es draußen zwei Swimmingpools gäbe! Und Logan hat dir widersprochen und erzählt, daß einer draußen und einer im Haus ist«, fuhr Luke fort. Wenn es um Farthy ging, nahmen Luke und ich beide alles sehr genau und klammerten uns an jede Kleinigkeit, die wir erfahren hatten. Man hatte uns so wenig erzählt.
    »Ach tatsächlich, Sherlock Holmes?« antwortete Drake, und seine Augen wurden schmal. Er ließ sich nicht gerne zurechtweisen, vor allem nicht von Luke. »Nun, ich habe nie behauptet, daß beide Schwimmbecken draußen waren; ich habe nur gesagt, daß es zwei gab. Du hörst eben nicht zu, wenn ich etwas sage. Es wundert mich, daß du in der Schule so gut bist. Wie machst du das nur?«
    »Drake, bitte!« rief ich.
    »Es stimmt doch, er hört nicht zu! Außer wenn du ihm etwas sagst«, fügte er hinzu und lächelte befriedigt, da er einen wunden Punkt getroffen zu haben glaubte. Luke errötete, und ein trauriger Blick aus seinen blauen Augen streifte mich.
    Ich sah über ihn hinweg, hinüber zu den Willies, die im Licht der ersten Sonnenstrahlen glänzten. Der Wind trieb jetzt einen Wolkenfetzen vor sich her, der die Form einer Träne hatte. Plötzlich verspürte ich das Bedürfnis zu weinen. Es war nicht nur der Streit zwischen Luke und Drake, der mich bedrückte. Immer wieder überkam mich diese Melancholie wie eine dunkle Wolke, die sich vor die Sonne schob. Dann verspürte ich oft das Bedürfnis zu malen; denn wenn ich vor meiner Leinwand saß, schwand die Traurigkeit, und ein tiefer Frieden erfüllte mich. Auf der Leinwand erschuf ich die Welt meiner Träume und Wünsche. Ich konnte es für immer Frühling werden lassen oder einen strahlenden, wunderbaren Winter herbeizaubern. Ich fühlte mich, als hätte ich magische Kräfte; ich konnte in meinen Gedanken ein Bild heraufbeschwören und es dann auf der leeren Leinwand erstehen lassen. Während ich an meinem letzten Bild von Farthy gearbeitet hatte, hatte ich gespürt, wie mein Herz leichter und die Welt um mich herum immer heiterer geworden war, als sei ein dunkler Schatten, der auf meiner Seele gelastet hatte, gewichen. Jetzt, da Drake mir die Stimmung verdorben hatte, fühlte ich, wie mich erneut eine Welle der Trauer überspülte.
    Plötzlich wurde mir bewußt, daß Luke und Drake mich anstarrten. Beide schienen bestürzt über mein betrübtes Gesicht. Hastig schluckte ich meine Tränen hinunter und lächelte ihnen durch den Schleier vor meinen Augen zu.
    »Vielleicht ist jedes meiner Bilder von Farthinggale Manor anders, weil sich das Haus selbst verändert«, sagte ich schließlich mit leiser Stimme. Lukes Augen leuchteten freudig auf, und ein Lächeln spielte um seine weichen Lippen. Er wußte, was dieser Ton in meiner Stimme verhieß. Wir würden unser Märchenspiel spielen und unsere Phantasie unbekümmert schweifen lassen. Ohne Scheu würden wir Dinge sagen, die anderen siebzehn- oder achtzehnjährigen Teenagern kindisch vorkommen würden.
    Aber dieses Spiel hatte noch eine andere Bedeutung für uns. Hier konnten wir Dinge aussprechen, die wir sonst nicht zu sagen gewagt hätten. Ich konnte seine Prinzessin sein und er mein Prinz. Indem wir uns hinter Phantasiegestalten verbargen, konnten wir zum Ausdruck bringen, was wir im Innersten unserer Herzen füreinander empfanden.
    Drake schüttelte den Kopf. Auch er wußte, was nun kommen würde.
    »O nein«, rief er, »ihr werdet doch nicht schon wieder anfangen.« Auf

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