Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
sie wirken immer so unkonzentriert. Kein Wunder, daß es so schwierig ist, gutes Personal zu finden.«
»Es war ein Brief an Luke!« rief ich verzweifelt aus.
»Ihre Eier werden kalt«, mahnte Mrs. Broadfield.
»Das tut mir leid«, erklärte Tony. »Schreib doch heute einen neuen Brief, und ich kümmere mich diesmal persönlich darum, einverstanden? Ich komme heute nachmittag wieder und nehme dich mit auf eine kurze Tour durch dieses Stockwerk. Das heißt, wenn Mrs. Broadfield es erlaubt«, fügte er hinzu und blickte zu ihr hinüber. Mrs. Broadfield erwiderte nichts.
Er ging, ehe ich noch etwas über den Brief sagen konnte. Hilflos sah ich Mrs. Broadfield an. Ihr Gesicht war zu einer Maske der Mißbilligung erstarrt.
»Wir sollten nun mit Ihrer Morgentherapie beginnen, Annie, und danach müssen Sie sich ausruhen, sonst kann ich mir nicht vorstellen, wie Sie eine Tour durchs Haus machen wollen. Und jetzt essen Sie bitte Ihr Frühstück.«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Sie müssen essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Ihre Therapie ist wie das Training eines Sportlers. Ein Sportler oder eine Sportlerin kann ohne energiespendende Ernährung keine guten Leistungen erbringen, und dasselbe gilt auch für Sie.« Sie nickte mehrmals bekräftigend. »Nur daß Sie nicht einfach ein Tennismatch oder ein Fußballspiel verlieren, sondern für immer gelähmt bleiben.«
Ich nahm meine Gabel und begann zu essen. Wie gut, daß es Rye Whiskey gab, dachte ich, während ich kaute und schluckte. Er wußte, wie man selbst die einfachste Mahlzeit schmackhaft zubereitete.
Meine morgendliche Therapie begann genau wie am Vortag, aber irgend etwas war diesmal anders. Ich war sicher, daß ich Mrs. Broadfields Finger auf meinen Schenkel spürte. Es war ein stechendes Gefühl, als würden Nadeln durch meine Haut dringen. Ich schrie auf.
»Was ist?« fragte Mrs. Broadfield ungeduldig.
»Ich habe etwas gespürt… ich habe Stiche gespürt.«
»Das bilden Sie sich nur ein«, sagte sie und fing erneut mit der Massage an. Wieder spürte ich das Stechen.
»Ich spüre etwas… ganz bestimmt!« protestierte ich. Sie hielt inne und stand auf.
»Das bezeichnen wir als hysterische Schmerzen. Sie sind in schlechterer seelischer Verfassung, als ich dachte. Selbst das bleibt Ihnen nicht erspart.«
»Aber der Arzt hat gesagt – «
»Ich weiß, was der Arzt gesagt hat. Glauben Sie denn, ich hätte nicht im Laufe der Zeit schon mit ein paar Ärzten zusammengearbeitet?«
»Ja, aber – «
Sie fing wieder an. Der Schmerz war da, aber ich verzog nur das Gesicht und unterdrückte mein Stöhnen. Das strengte mich so an, daß ich vor dem Mittagessen noch ein wenig schlafen wollte. Mrs. Broadfield brachte meine Mahlzeit und teilte mir mit, Tony habe angerufen und werde bald kommen, um mir das Stockwerk zu zeigen. Seltsam, dachte ich, wie etwas so Unbedeutendes so wichtig werden konnte, daß man sich darauf freute wie auf eine Party oder einen Tanzabend. Im Augenblick war die Vorstellung, aus dem Zimmer herausgeschoben zu werden, so aufregend wie früher eine Reise quer durch das Land. Wie sich mein Leben verändert hatte!
Einer der Angestellten kam herein und stellte einen Fernsehapparat für mich auf. Das Gerät hatte eine Fernbedienung, damit ich es vom Bett aus anstellen konnte. Der Mann, der den Fernseher brachte, war klein und gedrungen, und sein Gesicht sah aus wie altes, ausgetrocknetes Leder. Die vielen, vielen Stunden, die er in der Sonne hatte arbeiten müssen, hatten seine Haut gegerbt. Seine Stirn und sogar sein Kinn waren von tiefen Falten durchzogen. Er sagte, sein Name sei Parson.
»Arbeiten Sie schon lange hier, Parson?«
»O nein, kaum länger als eine Woche.«
»Wie gefällt es Ihnen?« Zuerst dachte ich, er hätte meine Frage gar nicht gehört; dann erst merkte ich, daß er überlegte, was er antworten sollte. »Ich nehme an, es gibt hier sehr viel für Sie zu tun«, fügte ich hinzu, um ihn zu einer Antwort zu ermuntern.
Er sah einen Augenblick erstaunt auf und blickte mich an.
»Ja, es gibt viel Arbeit, aber jedesmal, wenn ich mit irgend etwas anfange, überlegt Mr. Tatterton es sich anders und gibt mir einen neuen Auftrag.«
»Er überlegt es sich anders?«
Parson schüttelte den Kopf. »Ich weiß auch nicht. Ursprünglich hat er mich eingestellt, um den Swimmingpool zu reparieren. Ich fange also an, den Zement zu mischen, aber als ich gerade damit begonnen habe, kommt Mr. Tatterton heraus und will wissen, was ich da
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