Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
schuldbewußt zu Boden.
»Ich tue mein Bestes.«
»Sie hat doch noch keine Besucher empfangen oder sich sonst irgendwie angestrengt, hoffe ich?« fragte Dr. Malisoff Mrs. Broadfield.
»Ich habe versucht, dafür zu sorgen, daß sie Ruhe hält«, erwiderte sie ausweichend. Warum nahm sie nur alles so persönlich? fragte ich mich. Hatte sie Angst, sie könnte genauso schnell entlassen werden wie Millie?
»Ich verstehe.« Der Arzt untersuchte meine Beine, testete meine Reflexe und Reaktionen, schaute mir mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen und schüttelte dann wieder den Kopf. »Bei meinem nächsten Besuch will ich aber bessere Fortschritte sehen, Annie. Ich möchte, daß sie sich stärker auf Ihre Genesung konzentrieren.«
»Aber das tue ich doch!« protestierte ich. »Ich habe ja nicht einmal ein Telefon. Das einzige, was ich tun kann, ist fernsehen und lesen. Außer Tony, Drake und Rye Whiskey, dem Koch, hat mich noch niemand besucht.« Ich konnte den schrillen Ton in meiner Stimme nicht unterdrücken.
»Ich sehe, daß Sie sich in einem sehr erregten psychischen Zustand befinden«, sagte der Arzt sanft. »Aber Sie wurden hierher gebracht, damit Sie sich in einer freundlichen und ruhigen Umgebung befinden, die Ihrer Genesung förderlich ist. Denken Sie an Ihre Gesundheit, stellen Sie sich vor, daß Sie wieder herumlaufen können, konzentrieren Sie sich ganz darauf und tun Sie was Mrs. Broadfield Ihnen sagt. Einverstanden?« Ich nickte, und er lächelte. Sein rotbrauner Schnurrbart kräuselte sich in den Mundwinkeln. Ich erzählte ihm nichts von den Schmerzen, die ich in meinen Beinen gespürt hatte. Schließlich gab es noch etwas weitaus Wichtigeres, was ich unbedingt loswerden mußte.
»Herr Doktor…« Ich stützte mich mit den Händen im Bett ab und setzte mich auf. »Ich möchte so gerne zum Grab meiner Eltern gebracht werden. Ich fühle mich jetzt stark genug dafür, und ich kann mich nicht auf meine Genesung konzentrieren, ehe ich nicht dortgewesen bin.« Ich wollte nicht dickköpfig und unkooperativ erscheinen, doch ich war fest davon überzeugt, daß dies der Wahrheit entsprach.
Der Arzt betrachtete mich einen Augenblick lang nachdenklich; dann sah er zu Tony hinüber. Ich beobachtete, wie sich ihre Blicke trafen und der Arzt leicht mit dem Kopf nickte.
»In Ordnung«, sagte er. »Noch ein Tag Ruhe, und dann kann Mr. Tatterton Sie dorthin bringen, aber ich möchte, daß Sie danach sofort wieder hierher zurückkommen und ein Beruhigungsmittel einnehmen«, fügte er hinzu, nachdem er erneut einen Blick mit Tony gewechselt hatte.
»Vielen Dank, Herr Doktor.«
»Und versuchen Sie zu essen. Sie werden überrascht sein, wieviel Energie ein genesender Körper braucht.«
»Ich will es versuchen.«
»Nächste Woche um diese Zeit will ich sehen, wie sich diese Zehen hier bewegen, und ich möchte, daß Sie kichern, wenn ich Sie an den Fußsohlen kitzle. Einverstanden?« Er fuchtelte mit seinem langen Zeigefinger in der Luft herum wie ein Vater, der sein Kind zurechtweist.
»Ja.« Ich lächelte und legte mich wieder zurück. Dr. Malisoff nickte und verließ das Zimmer, flankiert von Mrs. Broadfield und Tony. Ich hörte, wie die drei sich vor der Schlafzimmertür im Flüsterton über mich unterhielten. Diese Besprechung dauerte so lange, daß ich schon Angst bekam, sie könnten vielleicht erwägen, mich wieder ins Krankenhaus zu schicken. Tony kam als erster zurück. Er trat an mein Bett und nahm meine Hand in die seine. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich bin wütend auf mich selbst«, begann er. »Ich fühle mich verantwortlich für deine schlechten Untersuchungsergebnisse. Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß du mich überredest, dir in den ehemaligen Räumen deiner Eltern diese traurigen Geschichten zu erzählen.«
»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte ich beruhigend, aber ich fürchtete nun, die drei könnten es sich womöglich anders überlegt haben und mir den Besuch am Grab meiner Eltern untersagen. »Tony, bringst du mich morgen zu dem Grab?«
»Selbstverständlich. Der Arzt hat sich ja einverstanden erklärt. Ich werde augenblicklich die Vorbereitungen für die Feier treffen.«
»Lädst du auch Drake und Luke ein? Ich möchte gerne, daß sie an meiner Seite sind.«
»Ich werde mein Bestes tun. Drake sollte heute um die Abendessenszeit aus Winnerrow zurückkehren«, meinte er lächelnd.
»Aber Tony, es sollte dir doch keine Schwierigkeiten bereiten, Luke ausfindig zu machen«, rief ich
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