Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
sich haben wollen. Dein Bild wird in all meinen Schaufenstern hängen… überall«, kündigte er an.
Diese Vorstellung ließ mein Herz schneller schlagen. Was sagten meine Freundinnen wohl dazu? Ich wußte, daß sie alle neidisch auf mich sein würden, aber Tony hatte wahrscheinlich recht – jede würde eine Puppe von sich selbst haben wollen. Ich lehnte mich zurück und dachte darüber nach – eine Puppe mit meinem Gesicht.
»Ich bin stolz darauf, daß Tony dich als Modell haben möchte«, flötete Mama. Ich sah sie einen Moment an. Warum wollte Tony der ersten Puppe nicht Mamas Gesicht geben? Sie sah doch immer noch so jung aus und hatte ein perfektes Gesicht. Was mich zudem noch wunderte war, daß Mama nicht eifersüchtig war. Sie schien froh über Tonys Wahl zu sein.
Dann dachte ich, Mama hätte ohnehin nie in so etwas eingewilligt. Es wäre ihr verhaßt gewesen, stundenlang dazusitzen, während Tony sie malte. Oder ging es gar um mehr?
»Was muß ich dafür tun?« fragte ich.
Tony lachte.
»Einfach nur du selbst sein, sonst gar nichts, ganz und gar du selbst.«
»Was heißt das alles?« fragte ich mit einer atemlosen Stimme, die fast wie ein Flüstern herauskam. Tony sah Mama an, und sein Lächeln verflog. Ihre Augen legten ihren zarten, zufriedenen Ausdruck ab und wurden innerhalb von kürzester Zeit zornig.
»Das heißt, daß du Modell stehen wirst, Leigh. Warum stellst du dich plötzlich so dumm? Du wirst das Modell eines Künstlers sein.«
»Aber sind die Modelle eines Künstlers nicht im allgemeinen… Aktmodelle?« fragte ich furchtsam.
Tony lachte, als hätte ich etwas Albernes gesagt.
»Natürlich«, erwiderte er gelassen. »Es geht um die Kunst, und wie ich schon sagte, wird diese Puppe eine Miniaturausgabe von dir sein.«
Ich schluckte schwer. Ich sollte irgendwo nackt in einem Raum stehen, während Tony ein Bild von mir malte, ein Bild, das jeder sehen konnte?
»Schließlich ist Tony doch kein Fremder«, meinte Mama kopfschüttelnd und lächelte. »Er gehört doch jetzt zur Familie. Ich würde ablehnen, wenn es ein anderer täte«, fügte sie noch hinzu.
»Und du brauchst nicht zu glauben, daß wir nicht absolut professionell vorgehen«, versicherte Tony. »Nur weil ich der Vorstand und Direktor meiner Firma bin, heißt das noch nicht, daß ich kein Künstler bin. Alle Tattertons waren Künstler.«
Als ich nichts dazu sagte und die Stille sich in die Länge zog, sprach Tony weiter.
»Als allererstes werde ich eine Zeichnung von dir anfertigen. Dann werde ich sie ausmalen und versuchen, den Hautton zu treffen. Anschließend werde ich mit Ton arbeiten und eine Skulptur formen, um alle Dimensionen einzufangen, und sowie das erledigt ist, wird ein Abguß hergestellt. Ich schlage vor«, sagte er, um ein neuerliches Schweigen auszufüllen, »daß du mit Jillian darüber redest. Ich muß ein paar Anrufe erledigen, und dann werde ich nach Troy schauen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, fügte er hinzu. »Es macht dir bestimmt Spaß, und dabei wirst du ganz am Rande noch berühmt.« Er stand auf, gab Mama einen Kuß und ließ uns allein.
Als er gegangen war, lehnte sich Mama zurück und sah gebieterischer aus denn je.
»Also wirklich, Leigh, ich bin überrascht und enttäuscht von dir. Du hast doch selbst gesehen, wie sehr sich Tony für seine neue Idee begeistert. Du mußt doch begreifen, was für ein großer und entscheidender Schritt das für Tatterton Toys ist. Und jetzt will er, daß sich all das um dich dreht, daß du im Mittelpunkt stehst, aber du sitzt da und machst einen gleichgültigen Eindruck und wimmerst wie ein unreifes, kleines Kind: ›Was soll ich denn tun?‹«
»Aber, Mama, ich soll ihm als Aktmodell stehen?«
»Was ist denn schon dabei? Du hast doch selbst gehört, was er gesagt hat – es geht um die Kunst. Sieh dich doch in den Museen um. Hat der Mann, der für Michelangelo Modell gestanden hat, etwa Kleider getragen? Oder die Frauen, die für die Venus Modell gestanden haben? Ich war sicher, daß du begeistert sein und dich geschmeichelt fühlen würdest. Glaube mir«, sagte sie, »wenn ich jung genug wäre, und wenn ein Mann wie Tony käme und mir eine solche Chance böte, würde ich keine Sekunde zögern. Ganz gewiß nicht.«
»Aber warum kannst du ihm nicht Modell stehen, Mama? Du bist doch so schön, und du siehst so jung aus.«
Mamas Gesicht veränderte sich im Nu und wurde hart und kalt. »Tony hat erklärt, daß er die Mädchen in deinem Alter
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