Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
der Aufregung mitgerissen, die über uns hinwegspülte. Eines Abends berichtete Tony dann schließlich, das Häuschen sei jetzt fertig eingerichtet und er sei bereit, am folgenden Morgen nach dem Frühstück mit der Arbeit zu beginnen. Ich spürte Röte in meinen Wangen aufsteigen, und mein Herz flatterte. Mama lächelte strahlend, und Tony schlug vor, auf das Projekt anzustoßen.
»Und auf Leigh«, sagte er und sah mich mit seinen tiefblauen Augen strahlend an. »Das erste Tatterton-Modell.«
»Auf Leigh«, wiederholte Mama und ließ darauf ein dünnes Lachen folgen. Sie leerten eilig ihre Weingläser wie zwei Verschwörer, die sich auf ein riskantes Wagnis eingelassen haben.
»Wie muß ich mich anziehen? Und wie soll ich mir das Haar bürsten?« fragte ich, und es klang etwas gehetzt.
»Sei einfach du selbst«, sagte Tony. »Du bist so schon etwas ganz Besonderes.« Als ich Mama ansah, stellte ich fest, daß sie ihn mit einem sachten, aber zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht musterte. Ich wußte, warum sie so glücklich war. Tony war ganz von diesem Vorhaben in Anspruch genommen, und solange es ihn vollauf beschäftigte, stellte er keine Forderungen an sie.
Ich konnte in jener Nacht nicht einschlafen, weil ich darüber nachdachte, wie es sein würde, für Tony Modell zu stehen.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück gingen Tony und ich zu dem kleinen Häuschen. Er hatte beschlossen, durch den Irrgarten zu laufen. Es war ein wunderschöner warmer Morgen, und flauschige Wattewölkchen zogen träge über einen türkisblauen Himmel.
»Ein wunderbarer Tag, um etwas Neues und Bedeutsames in Angriff zu nehmen«, sagte er. Er wirkte so energiegeladen und schien derart überschwenglich in seiner Begeisterung zu sein, daß ich mir dumm vorkam, weil mir immer noch flau war. Er sah, wie nachdenklich und nervös ich war. »Sei ganz locker. Wenn wir erst einmal angefangen haben, wird es dir wirklich Spaß machen. Das weiß ich, denn ich habe schon mit vielen Modellen gearbeitet.«
»Ach, ja?«
»Natürlich. Ich habe Zeichenkurse im College belegt und hatte hier auf Farthy ganz speziellen Unterricht.« Er beugte sich zu mir vor und senkte die Stimme, als vertraute er mir ein Geheimnis an. »Ich habe schon mit elf Jahren angefangen.«
»Mit elf?« Mit elf hatte er nackte Menschen gezeichnet und gemalt?
»Mhm. Du siehst also, daß du es mit einem äußerst erfahrenen Mann zu tun hast.«
Er lächelte, und wir betraten den Irrgarten. Tony bewegte sich mit größter Sicherheit voran, zögerte nie an einer Biegung und zweifelte nie daran, daß er sich für die richtige Richtung entschieden hatte.
»In den Augen anderer«, erklärte er, »sehen alle diese Hecken gleich aus, aber wenn man, wie ich, mit ihnen aufgewachsen ist, bemerkt man kleinste Unterschiede. Für mich unterscheiden sich diese Gänge voneinander wie Tag und Nacht. Nach einer Weile wird es dir genauso gehen«, versicherte er mir.
Das Häuschen wirkte von außen völlig unverändert, wenn man davon absah, daß sämtliche Jalousien geschlossen waren. Im Haus hatte Tony seine Staffelei aufgebaut und seine Farben, seine Stifte und sein Zeichenmaterial bereitgelegt. Er hatte eine lange Werkbank aus Metall aufgestellt. Das Material und alle Werkzeuge für die Skulptur standen auch schon da. Die Möbelstücke waren verrückt worden, damit soviel Platz wie möglich frei blieb. Zwei große Stablampen standen beiderseits der Staffelei, und die Glühbirnen warfen ihren Schein auf das kleine Sofa.
»Für den Anfang werden wir dich dort hinsetzen«, sagte er und deutete auf das Sofa. »Entspanne dich, und denk an etwas Schönes. Ich werde einen Moment brauchen, bis ich alles aufgebaut habe«, setzte er hinzu. Er begann, seine Sachen zu sortieren. Ich setzte mich auf das Sofa und sah ihm zu, und in seinem Gesicht erkannte ich dieselbe kreative Zielstrebigkeit und die Konzentration, die ich schon oft im Gesicht des kleinen Troy beobachtet hatte.
Ich trug eine schlichte weiße Baumwollbluse und einen hellblauen Rock. Mein Pony war kurz geschnitten, aber mein übriges Haar war lang genug, um mir bis auf die Schulterblätter zu fallen, und es schmiegte sich weich an meinen Hals und meine Schultern. Ich hatte keinen Lippenstift aufgetragen.
»Okay«, sagte Tony und wandte sich zu mir um. »Ich werde mit deinem Gesicht anfangen. Sieh mich einfach mit einem kleinen Lächeln an. Ich möchte, daß diese Puppe deine natürliche Schönheit widerspiegelt, deinen zarten und
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