Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
Suite betreten hatte, besuchte mich Troy. Die Windpocken und die Masern, seine Allergien und Erkältungen hatten ihn so schmal und blaß werden lassen. Sogar die Zeit, die er in der Sommersonne verbrachte, trug nicht allzuviel dazu bei, seinem Teint eine gesündere Farbe zu verleihen. Trotz seiner schlechten Verfassung strahlte er, als er mein Schlafzimmer betrat, um sich zu erkundigen, wie unsere Sitzung für die Tatterton-Porträtpuppe verlaufen war.
»Wann wird sie fertig?« fragte er. »Diese Woche noch?«
»Ich weiß es nicht, Troy. Heute haben wir nur an der Skizze gearbeitet. Tony muß mich noch malen und dann mit seiner Arbeit an der Skulptur beginnen. Hast du schon zu Abend gegessen?« fragte ich. Die Ärzte hatten genaue Zeiten für seine Mahlzeiten festgelegt, und er aß gewöhnlich früher als wir. Ich wußte, daß das meiner Mutter nur zu recht war, aber ihn machte es sehr unglücklich, allein oder mit seiner Krankenschwester essen zu müssen.
»Ja, und dieses pappige Zeug mußte ich auch wieder trinken«, klagte er.
»Es tut dir gut, Troy, und es wird dich kräftigen. Bald wird es dir bessergehen, und dann kannst du dein Pony wieder reiten und schwimmen gehen und…«
»Nein, ganz bestimmt nicht«, seufzte er. »Es wird mir nie mehr besser gehen, und ich werde auch nicht so lange leben wie andere.«
»Troy! So etwas darfst du nicht sagen. Wie kannst du nur solche schrecklichen Dinge behaupten?« schalt ich ihn.
»Ich weiß, daß es wahr ist. Ich habe gehört, wie es der Arzt zur Krankenschwester gesagt hat.«
»Was hat er gesagt?« fragte ich und war empört darüber, daß ein Arzt so etwas in seiner Gegenwart hatte von sich geben können.
»Er hat gesagt, ich sei so zart wie eine Blume, und wie eine Blume bei einem rauhen Wind umknickt, könnte ich auch umknicken, wenn ich je ernstlich krank würde.«
Ich starrte ihn einen Moment lang an. Auf eine seltsame Weise hatte seine Krankheit ihn reifer gemacht.
»Troy, er hat doch nur gemeint, daß du im Moment für Krankheiten aller Art anfällig bist, aber du wirst wieder kräftiger. Was sollte ich ohne meinen kleinen Stiefbruder anfangen?«
Er strahlte mich an.
»Du willst, daß ich immer dein kleiner Stiefbruder bleibe?«
»Ja, natürlich.«
»Und du wirst mich nie hier allein lassen?« fragte er skeptisch.
»Wohin sollte ich denn gehen? Ich bin jetzt hier zu Hause, genau wie du.«
Ich griff sachte nach seinem Handgelenk und zog ihn schnell in meine Arme. Die Tränen, die sich in meinen Augenwinkeln gesammelt hatten, rannen jetzt langsam über meine Wangen. Als er sich aus meinen Armen löste und sie sah, schaute er mich überrascht an.
»Warum weinst du, Leigh?«
»Nur aus Freude darüber… daß du für immer und ewig mein kleiner Bruder sein wirst, Troy«, sagte ich. Er strahlte über das ganze Gesicht. Ich hatte das Gefühl, daß er in diesem Moment vor meinen Augen kräftiger und gesünder wurde.
Alles, was ihm wirklich fehlte, dachte ich, war jemand, der ihn liebte, jemand, der ihm das Gefühl gab, erwünscht zu sein. Ich war ganz sicher, daß Tony ihn liebhatte, aber er hatte so viel zu tun, daß er nicht der Vater sein konnte, den Troy brauchte; und meine Mutter… sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt und fühlte sich von Troys Krankheiten derart abgestoßen, daß sie ihn gar nicht zur Kenntnis nahm. Der empfindliche, einfühlsame kleine Troy hatte mit Sicherheit das Gefühl, vollkommen allein zu sein. Ich begriff, daß er wirklich nur mich hatte.
In mancher Hinsicht erging es mir nicht anders als ihm. Es kam jetzt so oft vor, daß meine Mutter nur noch ihre eigenen Pläne und Sorgen im Kopf hatte. Und mein Vater war weit weg. Troy und ich waren zwei Waisenkinder, die man in diesem großen Haus ausgesetzt hatte, und wir waren von den Dingen umgeben, von denen andere Kinder und junge Leute träumten. Aber solange man nicht geliebt und umsorgt wurde, blieben die Dinge wirklich nur Dinge, leblose Gegenstände.
»Kommst du später zu mir und liest mir etwas vor, Leigh?« fragte er.
»Nach dem Abendessen. Ich verspreche es dir.«
»Schön. Und jetzt muß ich zu Tony gehen«, sagte er. »Vergiß es nicht«, fügte er noch hinzu und rannte auf seinen wackligen kleinen Beinen aus meiner Suite. Das brachte mich zum Lachen, aber gleichzeitig machte es mich traurig.
Ich zog mich für das Abendessen um. Tony saß bereits im Eßzimmer, als ich herunterkam.
»Wie geht es dir? Bist du erschöpft?« fragte er.
»Ja, aber ich habe
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