Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
keine Ahnung, warum.«
»Du darfst nicht unterschätzen, was du tust. Das ist Arbeit. Auch du konzentrierst dich, und vergiß nicht, daß du heute nervös warst. Auch das kann anstrengend sein. Morgen wirst du schon weniger nervös sein, und es wird von Tag zu Tag einfacher für dich.«
»Wie lange brauchen wir, Tony?« fragte ich. Er hatte »von Tag zu Tag« gesagt.
»Eine Weile. Für das eigentliche Gemälde werde ich sehr viel Zeit aufwenden müssen. Ich will deinen Hautton, deine Augen und dein Haar perfekt hinkriegen. Und dann geht es an die Plastik selbst. Wir dürfen nichts übereilen«, sagte er lächelnd.
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Es klang, als würde ich den ganzen Sommer damit zubringen, nackt vor ihm in dem kleinen Häuschen zu stehen. Würde er mich immer wieder anfassen müssen?
»Aber hast du denn nicht auch anderes zu tun?«
»Ich habe gute Mitarbeiter.« Er tätschelte meine Hand. »Mach dir keine Sorgen, du wirst für alles andere, was du tun willst, genügend Freizeit haben.«
Ich nickte. Wie hätte ich ihm sagen können, was mir wirklich Sorgen machte? Wem hätte ich das sagen können? Wo war meine Mutter? Wo war mein Vater?
Nach dem Abendessen ging ich zu Troy, um ihm vorzulesen, doch seine Krankenschwester fing mich vor seiner Suite ab und sagte mir, daß er schon schlief.
»Die Medizin, die er nimmt, macht ihn schnell müde«, erklärte sie. »Er hat sich Mühe gegeben, um für Ihren Besuch wach zu bleiben, aber dann sind ihm die Augen von selbst zugefallen.«
»Ich sehe nur kurz nach ihm«, sagte ich und ging auf seine Schlafzimmertür zu.
Ich entschloß mich, in Zukunft mehr Zeit für ihn zu haben. Das würde mich von meinen eigenen Problemen ablenken.
Ich las noch eine Weile und hörte Radio in meinem Wohnzimmer, und dann versuchte ich einzuschlafen, doch als ich das Licht ausgeschaltet und die Augen geschlossen hatte, konnte ich an nichts anderes denken als an Tony, der seine Hände auf meinen nackten Körper gelegt hatte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, zog ich mich an und begab mich eilig zu den Räumen meiner Mutter, aber ihre Schlafzimmertür war noch geschlossen. Ich klopfte sachte an.
»Mama? Ich muß heute morgen noch mit dir reden«, flüsterte ich durch die Tür. Ich wartete, aber es kam keine Reaktion. »Mama?« sagte ich lauter und wartete ab. Es kam immer noch keine Reaktion. Das erboste mich, aber da ich entschlossen war, mit ihr über das zu sprechen, was sich in dem Häuschen abgespielt hatte, öffnete ich die Tür und stand vor einem unberührten Bett. Voller Erstaunen und Entsetzen lief ich ins Eßzimmer, und dort fand ich Tony vor, der das Wall Street Journal las und Kaffee trank.
»Wo ist meine Mutter?« fragte ich. »Es sieht nicht so aus, als hätte sie letzte Nacht in ihrem Bett geschlafen.«
»Hat sie auch nicht«, gab er gelassen zurück und blätterte die Seite um.
»Und wo war sie?« fragte ich. Er ließ die Zeitung sinken und sah mich mit einem verdrossenen Gesicht an. Er ärgerte sich nicht über mich, das merkte ich – er ärgerte sich über sie.
»Sie hat gegen elf Uhr angerufen, um mir mitzuteilen, daß sie und ihre Freundinnen sich entschlossen haben, die Nacht in Boston zu verbringen. Ich mußte Miles in ihr Hotel schicken, damit er ihr für heute etwas zum Anziehen bringt.«
»Aber… wann kommt sie wieder nach Hause?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Das weiß ich genausowenig wie du.« Er sah mich scharf an. Dann nickte er Curtis zu, der wie eine Statue in einer Ecke gestanden hatte, und bat ihn, uns das Frühstück zu bringen.
Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich wollte nicht wieder mit ihm in das Häuschen hinter dem Irrgarten gehen, ohne vorher mit meiner Mutter geredet zu haben, aber Tony hatte es eilig, wieder an die Arbeit zu gehen.
»Warum ziehst du dir heute morgen nicht eines deiner weiten Baumwollhemden an?« schlug er vor. »Das würde uns die Sache vereinfachen. Und heute ist es sehr warm.«
Sonst nichts? Kein Höschen, keinen BH, nichts weiter als ein langes Baumwollhemd? Er sah meinen Gesichtsausdruck.
»Aus rein praktischen Gründen«, merkte er an. Ich nickte. Nach dem Frühstück ging ich in mein Ankleidezimmer und tat, was er vorgeschlagen hatte. Ganz im Gegensatz zu seinen Vorhersagen war ich heute morgen keine Spur weniger nervös. Er war so lebhaft wie am Tag zuvor, als wir durch den Irrgarten zu dem Häuschen liefen, wenn nicht noch angeregter. Er baute eilig alles
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