Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
drang aus dem Musikzimmer. Sie telefonierte. Ich führte Joshua zu einem Seitenausgang, und wir liefen durch den Park zum Irrgarten.
»Was ist das?«
»Ein Irrgarten. Man kann sich sehr leicht darin verirren, aber mach dir keine Sorgen, ich kenne den Weg. Mir macht es Spaß, dort herumzulaufen.«
Er blieb stehen und sah sich mit staunenden Augen um.
»Bist du ganz sicher, daß du den Rückweg findest?« fragte Joshua skeptisch.
Ich lachte. »Ich bin sicher. Mach dir keine Sorgen. Und außerdem – fändest du es denn schrecklich, dich mit mir zu verlaufen?« neckte ich ihn.
»0 nein, ich…«
Ich lachte wieder und lief voraus. Er hielt mich an der Hand, als ich ihn durch die Gänge und um die Ecken führte, schnell und sicher hier nach rechts und dort nach links abbog, bis wir am anderen Ende wieder herauskamen und vor dem Häuschen standen.
»Sieht es nicht aus wie aus einem Märchenbuch?« fragte ich und blieb stehen, um alles in mich aufzunehmen. den schönen, warmen Tag, den hübschen kleinen Zaun und den üppigen grünen Rasen und das Häuschen.
»Ja, wirklich«, flüsterte Joshua und schaute es fasziniert an.
»Komm mit.« Ich nahm ihn wieder an der Hand und führte ihn zur Eingangstür. Als wir näher kamen, stellte ich überrascht fest, daß die Läden vor den Fenstern immer noch geschlossen waren.
»Wir bleiben nur einen Moment, und dann gehen wir wieder zurück, bevor uns jemand vermißt. Nachdem ich dieses Häuschen das erste Mal gesehen hatte«, erklärte ich, »habe ich mir immer wieder ausgemalt, mit dem Mann, den ich liebe, hier zu leben. Oder wenigstens die Wochenenden mit ihm hier zu verbringen. Wir würden hierherkommen, um vor der Welt zu fliehen und nur noch uns selbst zu haben.« Ich warf einen Blick auf Joshua, weil ich sehen wollte, ob er etwas Ähnliches empfand wie ich. Sein Blick war auf das Häuschen gerichtet, doch dann sah er mich an und lächelte strahlend.
Wir liefen den kurzen Weg zur Haustür. Als ich eintrat, stellte ich erstaunt fest, daß Tony nichts von seinem Arbeitsmaterial entfernt hatte. Der Raum war immer noch wie das Atelier eines Künstlers eingerichtet. Aber es war doch schon so lange her, seit wir die Arbeit hier abgeschlossen hatten, dachte ich. Warum hatte er sein Arbeitsmaterial nicht weggeräumt?
»Oh«, sagte ich enttäuscht. »Ich dachte, es sei wieder so eingerichtet, wie es früher einmal war.«
Joshua trat langsam hinter mir ein. Ich ging direkt auf eine Staffelei zu. Darauf stand eine Leinwand mit einem Gemälde von mir, auf dem ich nackt auf dem Sofa lag. Ich schaute es nicht lange an, weil es mir peinlich war, doch mir fiel auf, daß dieses Gemälde irgendwie anders war als die anderen. Ich erkannte darin keines der Bilder, die Tony gemalt hatte, als ich ihm Modell gestanden hatte, und auf diesem Bild war meine Mutter, die Tonys Vorstellungen von meinem Körper bestimmt hatte, auch in das Gesicht eingegangen. Es war wahrhaftig eine Mischung aus uns beiden.
»Warte«, bat ich, als Joshua näher kommen wollte. »Ich möchte nicht, daß du das siehst.«
»Was? Warum? Was ist das?«
»Es ist etwas… Persönliches«, erwiderte ich und zog schnell ein weißes Tuch vor die Leinwand. »Entschuldige bitte.«
»Schon gut«, murmelte er schnell, obwohl seine Augen vor Verwirrung weit aufgerissen waren.
Ich sah mich eilig um, um mich zu vergewissern, daß keine anderen Indizien auf das hinwiesen, was sich hier abgespielt hatte. In einem Karton an der rechten Wand sah ich einige Leinwände, aber sie waren so gestapelt, daß man sie nicht sehen konnte. Ich seufzte erleichtert auf und setzte mich aufs Sofa.
»Dann war das also das Studio eines Künstlers«, stellte Joshua fest und sah sich um. »Und Tony Tatterton hat die Porträtpuppe selbst entworfen?«
»Ja. Er hat hier gemalt und die Plastik geformt.«
»Was für ein talentierter Mann.« Joshua setzte sich neben mich. »Ich kann mir vorstellen, daß das ein sehr gemütliches kleines Häuschen sein könnte«, sagte er und nickte, »Eine Art Unterschlupf.«
»Ich komme gern her. Ich wünschte nur, Tony hätte all das entfernt und das Häuschen wieder so eingerichtet, wie es vorher war. Ich verstehe wirklich nicht, warum er das nicht getan hat.«
»Vielleicht will er hier noch weiterarbeiten«, vermutete Joshua. Auf den Gedanken war ich nie gekommen. Vielleicht wollte er meine Mutter überreden, herzukommen und ihm hier Modell zu stehen, aber vielleicht wollte er auch mit einem anderen Mädchen
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