Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
Es scheint, als hätten sie Kuchen und Pudding aus der nächsten Ortschaft ins Sanatorium geschmuggelt. Kannst du dir vorstellen, daß jemand so viel Geld ausgibt, um fünf Pfund zuzunehmen?«
Tony schüttelte den Kopf und fiel in ihr Lachen ein. Ich konnte nicht glauben, daß sie so glücklich waren. Nichts, was ich Mama erzählt hatte, war von Bedeutung. Mama erzählte eine Geschichte nach der anderen über die reichen Frauen, die zur Kur gewesen waren. Tony war ein perfektes Publikum für sie. Er lachte und wurde immer nur ernst, wenn sie ernst wurde.
Nachdem sie aufgehört hatte, über die Damen herzuziehen, die mit ihr auf Diät gesetzt worden waren, berichtete ihr Tony ausführlich vom Erfolg der Puppen. Zwischendurch drehte sich meine Mutter immer wieder zu mir um und riß die Augen weit auf, um ihr Erstaunen auszudrücken. Ich weigerte mich, an dem Gespräch teilzunehmen. Dieses eine Mal mußten meine Wünsche und Bedürfnisse einfach berücksichtigt werden. Ich wußte, daß das, was mir zugestoßen war, entsetzlich war. Es brach mir das Herz, daß sie meine Qualen so mühelos verdrängte.
»Ich möchte, daß du dir ein paar der Dinge ansiehst, die ich in der Schweiz gekauft habe, Leigh«, kündigte meine Mutter an, als der Kaffee serviert worden war. »Sie sind im blauen Zimmer. Ich habe dir auch ein wunderbares Geschenk mitgebracht.«
Sie erhob sich und erteilte Curtis eine Anweisung, als sie das Eßzimmer verließ. Tony und ich standen ebenfalls auf. Als wir ihr folgten, hielt Tony mich am rechten Ellbogen fest. Er wollte verhindern, daß Mama hörte, was er mir zu sagen hatte.
»Ich will nur, daß du weißt, Leigh, daß ich dir nicht verüble, was du Jillian erzählt hast. Wir beide verstehen, wie einem Mädchen zumute ist, daß buchstäblich über Nacht zur Frau wird.« Er lächelte, und seine blauen Augen drückten Sanftmut und Verständnis aus. Sein beiläufiger Tonfall war zum Verrücktwerden. Einen Moment lang hatte ich einen Kloß in der Kehle. Ich schluckte schwer und biß mir fest auf die Zunge.
»Kommst du, Leigh?« rief mir Mama zu.
»Ja«, sagte ich und wandte mich dann entrüstet zu Tony um. Ich starrte ihn mit Augen an, die Haß und Feuer sprühten. Wut flammte in meiner Brust auf. Mit eisiger Stimme sagte ich: »Es mag sein, daß du sie für den Moment hinters Licht geführt hast, aber mit der Zeit wird sie mir glauben, denn jemand wie du kann sein wahres Ich nicht ewig verbergen.«
Er schüttelte den Kopf mit einem mitleidigen Blick, der mich nur noch mehr aufbrachte.
»Ich hatte gehofft, deine Haltung würde sich ändern, da Jillian jetzt wieder da ist, aber ich sehe, daß alles wahr ist, was man mir über Teenager von heute erzählt hat. Dennoch mußt du wissen, daß ich immer Verständnis und Mitgefühl für dich aufbringen und dich nie lächerlich machen werde.«
»Du bist ekelhaft«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne. Er lächelte immer noch. Dann versuchte er, sich bei mir einzuhängen, aber ich wich zurück. »Rühr mich nicht an, nie wieder!«
Er nickte und ließ mich mit einer höflichen Geste vorausgehen. Ich lief meiner Mutter nach. Tony folgte uns nicht ins blaue Zimmer, in dem Mama ihre Einkäufe aufgetürmt hatte. Ich setzte mich aufs Sofa und sah zu, wie sie Pullover, Blusen, Röcke und Ledergürtel auspackte. Sie schenkte mir eine mit Diamanten besetzte goldene Uhr. Sie hatte kunsthandwerkliche Gegenstände gekauft, kleine Plastiken, Schmuckkästchen und Handspiegel, die in Elfenbein gefaßt waren. Zu jedem Gegenstand hatte sie eine Geschichte zu erzählen, wie sie ihn entdeckt hatte, was für ein Geschäft das gewesen war, wie die anderen Frauen darüber geurteilt hatten, wenn sie etwas gekauft hatte. Sie brüstete sich damit, daß die anderen ihr nachgelaufen waren und alles getan hatten, was sie tat, alles gekauft hatten, was sie vor ihnen gekauft hatte.
»Plötzlich fand ich mich in die Rolle eines Idols gedrängt«, prahlte sie. »Kannst du dir das vorstellen? All diese schrecklich reichen, vielgereisten Frauen waren darauf angewiesen, daß ich ihnen sage, was schick ist, was ein echter Kunstgegenstand ist und was ein guter Kauf ist. Ich hätte eigentlich Prozente kassieren sollen.« Sie unterbrach sich und sah mich an, als sähe sie mich zum erstenmal.
»Du siehst ein wenig müde aus, Leigh. Du solltest dich morgen in die Sonne setzen. Du darfst dich nicht einfach in deinen Zimmern verkriechen. Das ist ungesund. Dort ist die Luft stickig und
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