Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
Passagieren gegenüberzutreten, wenn sie erst alle erfahren hatten, daß seine Frau von Bord gegangen war und ein Flugzeug nach Boston genommen hatte. Er konnte auch nicht gut sagen, es ginge ihr so schlecht, daß sie von Bord gehen mußte. Als Mama die Gangway hinunterschritt, hätten ohne weiteres Fotografen von einer der schicken Modezeitschriften dastehen und Aufnahmen von ihr machen können. In genau dem Augenblick beschloß ich, Daddy nicht zusätzlich in Verlegenheit zu bringen und mich zusammenzureißen.
»Du wirst nur drei Tage hier sein, Leigh, und du hast doch an Bord ein paar Freundschaften geschlossen, nicht wahr? Du hast mir von den Spenser-Schwestern erzählt, und ich habe mir vom Kapitän über ihre Familie berichten lassen. Sie sind recht wohlhabend. Ich bin hier doch nur allen im Weg«, sagte Mama noch.
Ich konnte nicht glauben, daß sie so etwas sagte. Das konnte ich nicht verstehen. Warum tat sie das? Warum tat sie etwas, was Daddy und mir weh tat?
Es überraschte mich, daß Daddy nicht an Deck wartete. Wie konnte sie fortgehen, ohne ihm zum Abschied einen Kuß zu geben? Sie hielt noch nicht einmal nach ihm Ausschau. Sie schritt einfach die Gangway hinunter zur Hafenmole und zu dem bereitstehenden Taxi.
»Mama, wo ist Daddy?«
»Wir haben uns vorhin schon voneinander verabschiedet«, erwiderte sie eilig. Sie nahm mir die Kosmetiktasche ab. »Sei ein braves Mädchen. Wir sehen uns bald wieder. Ich verspreche dir, daß ich das wieder an dir gutmachen werde.«
Es klang nach etwas Schönem, aber es jagte mir nur noch mehr Angst ein, diese Worte von ihr zu hören.
Sie gab mir noch einen Kuß, und dann stieg sie eilig in das Taxi. Sie sah so unwahrscheinlich glücklich aus, als sie aus dem Fenster schaute, um mir zuzuwinken. Ich stand da und sah ihr nach. Dann drehte ich mich wieder zu dem Schiff um. Hoch oben auf der Kommandobrücke stand Daddy und sah auf mich herunter. Sein Gesicht war das Gesicht einer steinernen Statue – kalt, leblos und niedergeschlagen. Er wirkte so grau und alt auf mich. Die Tränen, die mir über die Wangen rannen, kamen mir wie Eistropfen vor. Was wurde nur aus unserem glücklichen, wunderbaren Leben?
Ich war zwar böse auf Mama, weil sie von Bord gegangen und Daddy und mich einfach allein gelassen hatte, aber trotzdem vermißte ich sie. Plötzlich waren all die Dinge, auf die ich mich gefreut hatte, gar nicht mehr interessant für mich. Und jetzt mußte ich auch noch Daddy aufheitern.
Am ersten Tag beschäftigte er sich mit den zahlreichen Vorbereitungen für die Ausflüge, die die Passagiere unternehmen wollten, und damit, das Schiff ins Dock zu bringen. Die Spenser-Schwestern und ihre Eltern luden mich ein, mit ihnen in der Montego Bay essen zu gehen, aber ich wollte Daddy am ersten Abend ohne Mama nicht allein lassen, obwohl er darauf bestand, daß ich mitging. Mrs. Spenser hatte ihn um Erlaubnis gebeten, mich mitzunehmen. Wir bekamen vor dem späten Nachmittag keine Gelegenheit, wirklich miteinander zu reden. Ich schloß mich ihm in der Kapitänskajüte an, und nachdem er und der Kapitän ihre Gespräche beendet hatten und der Kapitän gegangen war, waren wir allein.
»Du solltest mit deinen Freundinnen essen gehen, Leigh. Ich möchte, daß du deinen Spaß hast.«
»Aber, Daddy, ich dachte, wir beide würden zusammen zum Abendessen ausgehen.«
»Ich muß an Bord bleiben und noch einiges erledigen«, erwiderte er. »Ich habe vor, nur schnell einen Happen nebenbei zu essen.«
»Dann esse ich eben auch nur einen Happen und helfe dir bei allem, was du zu tun hast.«
»Nein, das wäre nicht richtig.« Er schüttelte den Kopf. Dunkle und tiefe Schatten lagen um seine Augen. Mein Herz bebte. Ich hielt die Tränen zurück und schluckte.
»Warum mußte Mama uns im Stich lassen, Daddy? Hättest du den Schiffsarzt nicht dazu bringen können, mit ihr zu reden?«
Er schüttelte den Kopf. »Es war nicht nur die Seekrankheit, Leigh. Sie war von Anfang an nicht allzu glücklich über diese Kreuzfahrt.«
»Aber warum, Daddy? Sie hat doch ständig davon gesprochen, oder nicht? Sie wollte doch unbedingt nach Jamaika fahren. So viele ihrer Freundinnen sind hier gewesen. Hat sie nicht selbst damals diese Werbung aus einer Zeitschrift in deinem Büro aufgehängt, die mit dem Text: ›Kommen Sie nach Jamaika – da ist es ganz anders als zu Hause‹?«
Daddy nickte. Dann seufzte er.
»Wenn sie als Passagier hätte reisen können und nicht als die Frau des Eigners, hätte es
Weitere Kostenlose Bücher