Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
nur, weil sie mehr Spaß haben wollte. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät. Vielleicht konnte ich Mama dazu überreden, daß sie es sich noch einmal anders überlegte, dachte ich. Niemand brauchte zu erfahren, daß sie nach Mexiko geflogen war, um diese scheußliche Scheidung zu beantragen. Sie konnte noch einmal hinfahren und alles wieder rückgängig machen. Wenn sie erst einmal einsah, daß sie mein Leben ruiniert hatte…
Mir sank das Herz wie ein Stein, den man in einen Teich wirft, denn ich wußte, daß Mama sich all das vorher schon überlegt haben mußte. Sie hatte mich schließlich in Jamaika allein gelassen, oder etwa nicht? Diese Scheidung war ihr zu wichtig. Sie würde sich gar nicht erst anhören, was ich ihr alles zu sagen hatte.
Daddy hatte sich damit abgefunden; er hatte keinen Funken Hoffnung mehr, das hatte ich selbst gesehen. Ich stand ganz langsam auf und schaute mich im Spiegel an. Ich sah gräßlich aus, mein Gesicht war verschmiert, meine Augen waren blutunterlaufen. Und den Schluckauf hatte ich immer noch, und zwar so schlimm und in so kurzen Abständen, daß es allmählich weh zu tun begann. Ich trank ein Glas Wasser und hielt dann den Atem an. Dann wusch ich mir das Gesicht, um zu Daddy zu gehen und mit ihm zu frühstücken. Ich hatte keinen Appetit, aber ich würde alles tun, worum er mich bat.
Nach dem Frühstück gingen Daddy und ich auf die Brücke, wie er es mir versprochen hatte, und wir standen neben Captain Wilshaw und sahen ihm und den Offizieren zu, als sie überwachten, wie die Jillian vor Anker ging. Wie traurig es doch für Daddy sein mußte, dachte ich, wenn er sich heute überlegte, wie das Schiff hieß. Ich erinnerte mich noch an den Tag, an dem er Mama und mich zu einem Ausflug mitgenommen hatte, ohne uns einen Grund dafür zu nennen. Er hatte sich zum Hafen gewandt und so getan, als hätte er noch eine Kleinigkeit dort zu erledigen, und plötzlich sahen wir ihn vor uns… den neuen Ozeandampfer, der gerade für die Schiffstaufe bereitgemacht wurde. Mama und ich waren ganz aufgeregt, aber erst als Daddy direkt neben dem Schiff anhielt, verstanden wir, warum er so darauf versessen gewesen war, uns mitzunehmen. Auf den Seiten des neuen Dampfers stand es in leuchtenden Buchstaben: Jillian.
Mama hatte damals vor Freude gejauchzt und Daddys Gesicht mit Küssen bedeckt. Aber das schien jetzt Ewigkeiten her zu sein.
Als wir jetzt näher und immer näher an die Mole kamen, konnte ich die Menschenmenge sehen, die sich versammelt hatte, um die heimkehrenden Passagiere zu begrüßen. Zahlreiche Taxis, Limousinen und Privatfahrzeuge standen bereit. Auf den Decks winkten Passagiere und riefen anderen etwas zu, die Hüte und Taschentücher schwenkten, Fotos machten und ihnen ebenfalls etwas zuriefen. Ich hielt nach Mama Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Schließlich sah ich einen unserer Wagen, aber nur Paul Roberts, der Fahrer, den wir häufig beschäftigten, stand neben dem Wagen und wartete.
»Holt Mama mich denn nicht ab, Daddy?«
»Ich habe schon geahnt, daß sie Paul mit dem Wagen schicken könnte. Sie ist nicht gerade wild darauf, mich zu sehen.«
»Aber was ist mit mir! Sie sollte hier sein, wie die Verwandten von allen anderen Passagieren.«
»Sie will nur vermeiden, daß es zu einer Szene kommt«, erklärte Daddy. Sogar jetzt verteidigte er sie noch. Wenn sie nur wüßte, wie sehr er sie wirklich liebte. Ich war entschlossen, es ihr klarzumachen.
»Und du kommst jetzt gar nicht mit nach Hause, Daddy?« fragte ich leise.
»Nein, ich habe noch einiges zu erledigen. Geh du schon nach Hause. Ich komme dann später vorbei.«
Wieder dieses Wort »vorbeikommen«.
Ich nickte eilig. Als das Schiff endlich vor Anker gegangen war und die Leute von Bord gehen durften, wandte ich mich an Daddy. Er schloß nur die Augen, schlug sie wieder auf und nickte dann.
»Geh schon«, sagte er leise. »Ich komme allein zurecht.«
»Daddy.« Meine Kehle schnürte sich zu. Er wies noch einmal mit einer Kopfbewegung zum Ausgang. Ich sah, daß er sich selbst anstrengen mußte, um die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Er küßte mich schnell auf die Wange, und dann sprang ich zur Tür und lief an Deck.
Es war ein leicht bewölkter Morgen, doch mir erschien er unfreundlich und grau. Die Meeresluft kam mir auf den Wangen wie der Atem eines Schneemanns vor, der die warmen Tränen augenblicklich kalt werden ließ. Ich zog meinen Mantel enger um mich und ging auf
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