Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
riß das Kuvert eilig auf und las den Brief.
Liebste Leigh,
ich hoffe, es geht Dir gut, wenn Du diesen Brief bekommst. Ich weiß, daß Du nicht glücklich sein kannst, weil Dein Leben so durcheinandergeraten ist, aber ich hoffe, daß sich bei Dir alles ein wenig beruhigt hat und daß Du Dich mit der Zeit wieder zurechtfindest. Ich werde natürlich alles tun, um dazu beizutragen.
Meine Reise auf die Kanarischen Inseln ist ereignislos verlaufen. Es ist jedoch wunderschön dort, und ich bin froh, daß ich mich überreden ließ, dieses Ausflugsziel in Betracht zu ziehen. Es ist ganz entschieden eine blendende Ergänzung zu unseren bisherigen Routen.
Wir werden in Kürze von hier aufbrechen und nach Miami-Florida weiterreisen, und dort werde ich mich mit Reiseexperten zusammensetzen, um meine Karibikkreuzfahrten auszuarbeiten. Es sieht so aus, als sei ich an den Feiertagen dort, aber ich werde Dich an Silvester in Deinem neuen Zuhause anrufen.
Ja, Leigh, ich weiß von den Plänen Deiner Mutter. Ihre Wiederverheiratung gehört zu den Dingen, die wir miteinander besprochen haben, als sie in mein Büro gekommen ist und Dich aufgefordert hat, uns allein zu lassen. Ich wußte, daß Dir das nur noch mehr Kummer bereitet, und deshalb wollte ich nicht mit Dir darüber reden. Vielleicht wird Deine Mutter jetzt das Glück finden, das sie sich erträumt. Sie hat mir auch von ihrem Vorhaben erzählt, Dich in eine der besten Privatschulen im Osten zu schicken. Das Wissen, daß Du zumindest in den Genuß aller materiellen Vorzüge kommst, die diese Welt zu bieten hat, ist mir eine Beruhigung.
Ich verspreche Dir, Dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu besuchen. Eine Zeitlang habe ich mich allerdings gern in meiner Arbeit vergraben. Das hat mir dabei geholfen, über diese Tragödie hinwegzukommen.
Jetzt bist Du das einzig Zarte und Schöne, was mir im Leben geblieben ist. Ich möchte nichts schreiben, was Dich zum Weinen bringt, also mach die Luken dicht, und erwarte die Rückkehr meines Schiffes.
Ich verspreche Dir, daß es zurückkommen wird.
Alles Liebe
Daddy
Ich war tief erschüttert. Ich hielt die Tränen zurück und schluckte die Schreie, die sich meiner Kehle entringen wollten. Daddy wollte nicht, daß ich weinte; er wollte nicht, daß sein Brief mich traurig machte und verwirrte, aber es war so hart, seine Worte zu lesen, ohne seine Stimme zu hören und seinen grauen Bart, seine rosigen Wangen und seine Augen zu sehen, in denen Stolz und Liebe stand.
Mein Herz schlug heftig vor Wut und Entrüstung, doch meine schwachen, kleinen Fäuste konnten auf der Schreibtischplatte nicht viel anrichten. Wer hörte sie schon? Wer machte sich etwas daraus? Was konnte ich schon ändern? Ich ließ meinen Kopf über Daddys Brief auf meine Arme sinken und holte tief Atem. Dann hob ich den Kopf wieder, faltete Daddys Brief säuberlich zusammen und legte ihn in mein Tagebuch.
Als Mama kam, hatte ich meine Fassung wiedergewonnen und war damit beschäftigt, die allerletzten Dinge einzupacken, die ich nach Farthy mitnehmen wollte. Natürlich mußten wir vieles hier in Boston zurücklassen. Mama hatte entschieden, daß einiges nicht gut genug für Farthy war; andere Dinge wollte sie lieber durch neue ersetzen.
»Du wirst es kaum glauben«, sagte sie, und ihr Lachen wehte wie eine Rauchfahne hinter ihren Worten her. »Aber meine Mutter hat sich entschlossen, schließlich doch zu meiner Hochzeit zu kommen, obwohl meine schrecklichen Schwestern nicht erscheinen werden. Falls sie sich an ihr Vorhaben hält, dann wird sie doch tatsächlich heute hier in Boston eintreffen.«
»Wann? Um wieviel Uhr?« Ein Besuch von Großmama Jana war immer ein besonderer Anlaß. Sie kam selten zu Besuch, da sie das Reisen haßte und den Norden nicht mochte, aber wenn sie kam, sorgte sie immer für einigen Trubel. Mama war gar nicht erfreut, sie bei sich zu haben, und sie atmete immer erleichtert auf, wenn sie wieder abreiste.
Mama sah auf ihre Armbanduhr.
»Es kann jetzt jederzeit soweit sein. Ich sollte die Dienstboten lieber vorwarnen, vor allem Svenson. Du weißt ja, wie heikel sie sein kann, wenn es ums Essen geht. Ach, verdammt noch mal. Ich hatte gehofft, sie und meine Schwestern mit ihren Hexengesichtern würden gemeinsam am Tag meiner Hochzeit eintreffen und anschließend gleich wieder abreisen. Ich habe im Moment einfach keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Du wirst mir helfen müssen, Leigh. Sie mag dich mehr als mich.«
»O nein,
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