Castello Di Felici - Schloss Des Gluecks
Kopf und betrachtete die schier endlose Reihe der Porträts seiner Vorfahren an den Wänden. Ihre Ähnlichkeit mit Leo war frappierend. Die markanten Wangenknochen, der volle Mund, der feuriger Blick – alles war hier, hier direkt vor ihren Augen. Seine hochgewachsene Gestalt, die männliche Schönheit, das dichte schwarze Haar – nichts fehlte. Sein Äußeres gehörte ebenso zum Vermächtnis seiner Ahnen wie dieses Schloss.
Leo war nicht nur das Produkt eines alten Adelsgeschlechts, er war dessen Meisterwerk. So, wie er jetzt vor ihr stand, in einem dunklen Anzug aus der Werkstatt des besten Schneiders von Mailand, kam er ihr vor wie die Verkörperung alles Männlichen. Er war ein Traum von einem Mann, jeder Zoll ein Fürst.
Wie sollte sie jemandem wie ihm begreiflich machen, was es hieß, sich einsam zu fühlen? Er war nie allein, sondern stets von Dienerschaft, Beratern und Angehörigen umgeben. Und von acht Jahrhunderten Familiengeschichte, einschließlich Ahnengalerie.
Bethany hingegen hatte nur ihren Vater gehabt. Ihr Mutter starb, als Bethany noch ein Baby war. Als einziges Kind von zwei Einzelkindern hatte sie auch keine näheren Verwandten. Dann kam Leo, und als sie auch ihn verlor, brach ihr Herz. Aber das würde er nie verstehen, da er niemals in seinem Leben allein gewesen war. Und sie konnte es ihm nicht erklären. Sie wusste nur, dass sie ihn kein zweites Mal verlieren durfte, denn diesmal würde sie daran zugrunde gehen.
„Warum legst du die Stirn in Falten, Bethany? Stimmt etwas nicht?“, fragte er mit einem Unterton von Besorgnis, der sie aus dem Konzept brachte. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
„Tue ich das? Es war mir gar nicht bewusst.“ Sie erreichte die letzte Stufe und blieb stehen. „Ich habe nur überlegt, wann dein Porträt die Sammlung hier vervollständigen wird“, bemerkte sie leichthin und mit einer Kopfbewegung auf die Gemälde.
„An meinem vierzigsten Geburtstag. Warum fragst du? Hast du einen bestimmten Künstler im Sinn? Ist dein Liebhaber womöglich Porträtist?“
Sie atmete tief durch, entschlossen, nicht auf die offensichtliche Provokation zu reagieren. Letztlich war sie selbst schuld daran – der angebliche Liebhaber war ihr Werk. Sie konnte von Glück reden, dass Leo statt mit Zorn mit Sarkasmen reagierte.
Darum zauberte sie ein weiteres Lächeln auf die Lippen und wechselte das Thema. „Ist es nicht seltsam, täglich die Gesichter von Männern vor Augen zu haben, die aussehen wie du?“ Sie deutete auf eins der Gemälde, das Werk eines berühmten Malers, dessen Name ihr nicht einfiel. Es war das Porträt des ersten Di-Marco-Prinzen, eine kürzere und stämmigere Version von Leo in den prachtvollen Kleidern des vierzehnten Jahrhunderts. „Ich frage mich, ob du als Kind jemals darüber nachgedacht hast, wie deine Zukunft aussehen wird.“
„Meine Zukunft ist die Fortsetzung meiner Familiengeschichte, das wusste ich von klein auf“, erwiderte er sachlich, aber mit einem Anflug von Stolz. „Ohne sie bin ich unvorstellbar.“
Bethany kam es vor, als erwarte er eine spitze Bemerkung von ihr oder einen abfälligen Kommentar. Habe ich das früher getan – ohne nachzudenken kritisiert? fragte sie sich plötzlich. Oder war ich nur zu jung, um zu verstehen, woher er kommt und was es bedeutet?
„Das leuchtet mir ein“, stimmte sie zu, wandte sich ihm zu und bemerkte gerade noch den erstaunten Ausdruck, der über sein Gesicht huschte, bevor er wieder verschwand.
„Gehen wir, das Abendessen wartet“, entgegnete er. „Es sei denn, du möchtest meine Vorfahren noch länger bewundern.“
Gemeinsam durchquerten sie die Eingangshalle und einen Saal. Ihnen folgten ein Gang und ein weiterer Prunksaal. Kronleuchter warfen gedämpftes Licht auf all die Kostbarkeiten, die von der Kultur und Größe längst vergangener Epochen erzählten.
„Essen wir allein?“, fragte sie und senkte unwillkürlich die Stimme. „Wo sind Vincento und Giovanna?“
„Mein Cousin und meine Cousine wohnen nicht mehr im castello .“
„Oh?“, meinte sie nur. Und das war auch besser, denn über diese beiden gab es nicht viel Gutes zu sagen. Vom ersten Tag an hatten sie ihr das Leben schwer gemacht. Dabei hatte Bethany sich so gefreut, ihre Bekanntschaft zu machen – überglücklich, außer einem Ehemann auch noch Verwandte zu bekommen.
„Ich dachte, sie leben hier“, bemerkte sie nach einer Weile.
„Die Entscheidung, zu bleiben oder zu gehen, lag nicht bei ihnen“,
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