Castle 1 - Castle, R: Castle 1
die sie dort als Kunstliebhaberin verbracht hatte, sie nicht zu einer Expertin machten, erkannte sie einige der Werke in Matthew Starrs Sammlung. Sie waren teuer, aber in ihren Augen war der Raum eine zwei Stockwerke hohe Wundertüte. Impressionisten hingen neben alten Meistern; deutsche Posterkunst aus den Dreißigern teilte sich den Platz mit einem religiösen italienischen Triptychon aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Sie verweilte vor einer Studie eines ihrer Lieblingsgemälde: John Singer Sargents
Nelke, Lilie, Lilie, Rose
. Auch wenn es nur eine vorläufige Ölskizze war – eine von vielen, die Sargent anfertigte, bevor er das Gemälde vollendete –, war sie von dem Anblick der vertrauten kleinen Mädchen wie gebannt. In ihren langen weißen Kleidchen wirkten sie so unschuldig, während sie im sanften Schimmer des Zwielichts die Lampions im Garten anzündeten. Und dann fragte sie sich, was das Bild neben dem aufdringlichen Gino-Severini-Gemälde machte, einer zweifellos teuren, aber fast schon unangenehm bunten Leinwand voller Ölfarben und zerdrückter Pailletten. „Jede andere Kunstsammlung, die ich bisher gesehen habe, hatte ein … ich weiß auch nicht, ein gewisses Thema oder eine Einheitlichkeit oder … ach, wie kann man das am besten ausdrücken …?“
„Geschmack?“, schlug Paxton vor. Nun, da er seine Meinung über Matthew Starr offen kundgetan hatte, hielt er sich nicht mehr zurück. Trotzdem senkte er seine Stimme zu einem Flüstern und sah sich um, als müsste er sich vor Blitzen in Acht nehmen, die auf ihn abgeschossen wurden, weil er schlecht von den Toten sprach. Aber das hielt ihn nicht davon ab, auch weiterhin schlecht von Starr zu sprechen. „Wenn Sie in dieser Sammlung nach irgendeinem Sinn suchen, werden Sie garantiert keinen finden, denn Tatsache ist: Matthew war ein ordinärer Protz. Er hatte keine Ahnung von Kunst. Für ihn zählte nur der Preis.“
Rook tauchte an Heats Seite auf und sagte: „Wenn wir lange genug suchen, finden wir sicher noch
Hunde beim Poker
.“ Darüber musste sie lachen. Selbst Paxton gestattete sich ein kurzes Kichern. Sie verstummten gleichzeitig, als sich die Eingangstür öffnete und Kimberly Starr in den Raum stürmte.
„Tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ Heat und Rook starrten sie an und schafften es kaum, ihren Unglauben und ihre Geringschätzung zu verbergen. Ihr Gesicht war von einer Botoxbehandlung vollkommen aufgequollen. Gerötete Schwellungen betonten die unnatürlich aufgedunsenen Lippen sowie die Stellen, an denen eigentlich Lachfältchen zu sehen sein sollten. Ihre Augenbrauenpartie und ihre Stirn waren mit pinkfarbenen Beulen übersät, die entlang der Falten verliefen und vor ihren Augen zu wachsen schienen. Die Frau sah aus, als wäre sie mit dem Gesicht voran in ein Hornissennest gefallen. „Die Ampeln auf der Lexington Avenue waren ausgefallen. Verdammte Hitzewelle.“
„Ich habe die Dokumente auf den Schreibtisch im Arbeitszimmer gelegt“, sagte Noah Paxton. Er hatte bereits nach seiner Aktentasche gegriffen und machte sich auf den Weg Richtung Tür. „Ich muss mich noch um einige Angelegenheiten im Büro kümmern. Detective Heat, wenn Sie mich benötigen sollten, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen können.“ Als er hinter Kimberlys Rücken die Augen verdrehte, wusste Nikki, dass sie ihre Theorie, dass die beiden ein Verhältnis hatten, so gut wie vergessen konnte, aber sie würde es zur Sicherheit trotzdem überprüfen.
Kimberly und Heat nahmen die gleichen Plätze wie am Tag des Mordes ein. Rook hielt sich dieses Mal von dem gepolsterten Chippendale-Stuhl fern und setzte sich stattdessen neben Mrs. Starr auf die Couch. Vermutlich damit er sie nicht ansehen musste, dachte Nikki.
Die Botoxbehandlung im Gesicht war nicht die einzige Veränderung. Sie hatte ihre eher biedere Kleidung von Talbots gegen ein Outfit vor Ed Hardy eingetauscht. Es bestand aus einem schwarzen Trägerkleid auf dem ein großer Tattoodruck einer roten Rose sowie die über eine Schriftrolle verlaufenden Worte „Dedicated To The One I Love“ prangten. Wenigstens trug die Witwe schwarz. Kimberly wirkte äußerst ungehalten und erweckte den Eindruck, dass sie sich von ihrer Anwesenheit gestört fühlte. „Nun? Sie sagten, Sie hätten etwas, das ich mir ansehen soll.“
Heat nahm ihr Verhalten nicht persönlich. Ihre Aufgabe war es, Kimberly einzuschätzen und nicht über sie zu urteilen. Wenn man einmal von der Art und Weise absah, wie diese
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