Cataneo - Der Weg Splendors (German Edition)
Schritt kam er seinem Ziel jedoch näher, nichtsahnend, was ihn dort erwartete …
DER HEXER
Zur selben Zeit fand eine Versammlung in einer der unterirdischen Kammern des Obscura-Tempels statt. Eine lange Tafel besetzt von den dreizehn Priestern des Tempels. Darunter auch Failon, der die Schriftrolle, die er soeben Morris vorgelesen hatte, fest in der Hand hielt. Der Kellerraum war kalt und keinesfalls gemütlich, die wenigen Fackeln boten nur wenig Licht. Der älteste Priester, der am Ende der langen Tafel saß, blickte finster in die Runde. Er sprach von einer Bedrohung, über dessen Ausmaß er sich keine Gedanken machen wollte, und von einer Zeit, in der Cataneo von Angst und Schrecken beherrscht werden würde. Seine Faust hämmerte wutentbrannt auf den schweren Holztisch, wissend, dass er nichts daran ändern konnte. Die Obscuras hatten jahrhundertelang Bücher und Schriftrollen gelesen und andere ihr Wissen gelehrt. Sie waren deshalb mit der Prophezeiung vertraut, doch ihnen fehlten einige Einzelheiten, die nur die Hexer kannten. Die Priester der Tempel, so fuhr er fort, konnten nur die Zeit abwarten und jenen beistehen, die versuchen würden, Cataneo ins Licht zurückzuholen.
Nachdem der alte Priester geendet hatte, lag eine nachdenkliche Stille im Raum. Die Priester hatten Cataneo in der Vergangenheit schon vor dem einen oder anderen Unheil bewahren können, aber angesichts der Bedrohung, vor der sie nun standen, fühlten sie sich regelrecht hilflos.
Failons blasse Finger griffen die Schriftrolle fester. Ihm war klar, dass er etwas unglaublich Wichtiges in den Händen hielt, das jedoch völlig ohne Bedeutung war, solange ein Teil fehlte. Er konnte dem Ältesten kein halbes Schriftstück übergeben, in dem nur etwas stand, dass alle längst wussten. Andererseits war nur ihm und dem Hauptmann bekannt, dass sie unvollständig war. Als Failon sie vor langer Zeit in seinen Besitz nahm, hatte er das Schriftstück nicht an den Obersten seines Tempels weitergegeben, wie er es hätte tun sollen. Er hütete die Rolle in seinen privaten Gemächern, immer in der Hoffnung, einmal das fehlende zweite Stück dazu zu finden. Deshalb zog Failon es erst einmal vor, mehr darüber in Erfahrung zu bringen.
Der Älteste stand auf und ließ sich von einem der Priester einen vierarmigen Kerzenständer reichen. Vier Kerzen als Symbol für die vier Götter. Während er die Kerzen entzündete, betete er in der alten Sprache der Obscuras, er bat Vell um Beistand im Kampf gegen das Böse. Dann richtete er seine Worte an Splendor und bat um ihre Barmherzigkeit für die Schwachen und Alten, die in einem Krieg keine Chance hätten. Brica bat er darum, Cataneo zu beschützen vor dem, was geschehen würde und zuletzt bat er Vortex, seinen Zorn zu zügeln und ihre Welt nicht in Dunkelheit zu stürzen. Mehr, so wusste der Älteste, konnten die Obscuras vorerst nicht tun, bis die Zeit gekommen war.
Nachdem der Älteste die Versammlung beendet hatte, zog sich Failon in sein Gemach zurück. Auf seinem Schreibtisch lag das schwarze Buch, das Morris so verzweifelt in der Bücherkammer gesucht hatte. Nachdenklich blätterte der Obscura darin herum. Aufgeführt waren Wesen der Finsternis und des Bösen. Ab und an stieß er auf ein Abbild seiner selbst. Er wusste, dass sie von vielen als Diener des Bösen angesehen wurden. Das war die Bürde, die die Obscuras tragen mussten. Doch sie trugen diese stets mit Würde und waren stolz, wenn sie zurückdachten an die Zeiten des Krieges und daran, welch wichtige Rolle sie einst darin spielten. Mit den Jahren wurden die Geschichten über die Obscuras verändert und ihre Taten anders weitergegeben, als sie wirklich passiert waren. Aber Failon wusste: sein Volk war wichtiger Bestandteil dieser Welt und würde es auch in Zukunft immer sein. Wenn die Stunde Cataneos geschlagen hatte, würden die anderen um ihre Hilfe und ihr Wissen flehen. Dieser Gedanke war Genugtuung für all das, was ihnen Böses angedichtet wurde. Er legte das Buch zurück auf den Schreibtisch und versuchte, sich etwas auszuruhen.
Erst als die Nacht einbrach, verließ Failon leise und unbemerkt den Tempel. Als er die schwere Tür geschlossen hatte, atmete er tief durch. Niemand durfte ihn sehen. Er wollte den Ältesten beweisen, dass er seine Aufgabe mehr als ernst nahm. Die Obscuras mussten auch in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielen, so wünschte er es sich. Kein böses Wort sollte man länger über sie sprechen. Er musste
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