Cataneo - Der Weg Splendors (German Edition)
einfach mehr herausfinden und so machte er sich leise auf den Weg.
Der Wind pfiff durch die Gassen und es war wieder recht kühl geworden. Der Obscura sah die Straße hinab, doch wie von ihm angenommen, schien sich jeder an die Ausgangssperre zu halten. Er machte sich auf den Weg zu einem der Hexer Zitelias. Failon bat ihn oft um Rat, wenn es um mehr als um das Wissen ging, das einst niedergeschrieben wurde. Hexer hatten eine einzigartige Gabe: die Gabe des Sehens. Nur ein Hexer vermochte zu wissen, was die Zeit bringen würde, und nur sie selbst entschieden darüber, ob es klug wäre, dieses Wissen zu teilen. Hexer waren Einzelgänger, nur wenige im Volk trauten ihren wirren Aussagen. Kaum einer wollte mit jemandem Zeit verbringen, der genau wusste, was als nächstes passieren würde. Doch die Seher – so nannten viele die Hexer –, mieden auch von sich aus den Kontakt zur Außenwelt. Sie scheuten Gefühle der Verbundenheit, denn durch ihre Gabe sahen sie oft schreckliche Dinge vor ihrem geistigen Auge. Insofern verbrachten sie lieber die Zeit mit sich selbst. Ein Hexer wurde meist nur aufgesucht, wenn die Menschen keinen anderen Rat mehr wussten. Schwerkranke vertrauten in letzter Hoffnung auf die Heiltränke der Seher, denn diese konnten in einigen Fällen wahre Wunder bewirken. Failon dagegen begehrte keine Heiltränke, sondern war auf dem Weg zum Hexer Gerus, weil er mehr über die Schriftrolle wissen wollte. Die Straßen waren zu dieser Stunde in ein tiefes Schwarz getaucht und man konnte nur schwer etwas erkennen. Nachdem Failon einige Zeit gegangen war, beschlich ihn auf einmal das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete. Doch erst, als es sich fast unerträglich anfühlte, blieb der Priester stehen. Das schwere Atmen des Obscuras war das einzige Geräusch, das die Stille übertönte. Seine gelben Augen musterten die Gegend, aber er fand nichts. Er war allein. Failon versuchte sich zu beruhigen, trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass etwas in der Dunkelheit auf ihn lauerte. Noch einmal blickte er in die Finsternis, dann verdrängte er das ungute Gefühl im Magen und ging weiter die Straße entlang. Wahrscheinlich spielten ihm seine Sinne einen Streich, dachte er. Der Gedanke an die Rückkehr der Brut Vortex’ ließ ihn wohl etwas irrsinnig werden.
Der Hexer wohnte in einer sehr ärmlichen Wohngegend der Stadt, sie lag weit abseits des Tempels. Kaum jemand betrat die stinkenden Gassen dieses Ortes. Die Gebäude waren heruntergekommen und total verdreckt. Überall lag Müll in den Straßen, Obdachlose säumten den Weg. Endlich erreichte Failon das Haus, in dem der Hexer lebte. Er wusste, dass er äußerst vorsichtig vorgehen musste. Hexer Gerus war unberechenbar. In einem Augenblick war er die Ruhe selbst und im nächsten hysterisch und unkontrolliert. Jeder der ihn kannte wusste, dass man in seiner Nähe wachsam sein musste, so auch Failon, der mit einem Messer, das er unter der Kutte versteckt hatte, an seine Tür klopfte.
Es dauerte einen Moment, dann war von drinnen zu hören, wie etwas zu Boden fiel. Daraufhin ertönten die dumpfen Schritte des Hexers und die Tür öffnete sich. Ein unangenehmes Knarren der alten Holztür krächzte durch die Dunkelheit. Der Obscura sah Gerus verwundert an, der ein totes Huhn in seinen blutverschmierten Händen hielt. Ohne ein Wort wandte sich der Hexer ab und ging in den dunklen Flur zurück, aus dem er gekommen war. Failon setzte seinen Fuß auf die Türschwelle, doch noch immer ließ ihn das Gefühl nicht los, dass ihn jemand verfolgte. Seine Hand griff zittrig nach der Klinke, als er die Tür hinter sich schloss. Dann folgte er dem Hexer zu dessen Kochstelle. Auf einem Tisch lag das Huhn, das Gerus eben noch in den Händen gehalten hatte. Der ganze Tisch war voller Blut und im Raum stank es beinahe unerträglich. Überall standen Gefäße mit unerkennbarem Inhalt herum und Kräuterbündel hingen von der Decke hinab. In den Wänden waren Worte ohne Zusammenhang eingeritzt. »Bedrohung« war das Wort, an dem Failons Blick förmlich festklebte. Gerus wusch sich an einem Waschbecken das Blut von den Händen ohne den Blick von dem Obscura abzuwenden. Seine langen braunen Haare hingen ihm im Gesicht. Er sah ungepflegt aus, seine Kleidung war zerschlissen, sowie mit Schmutz und Blut beschmiert. Er stank ebenso wie der Raum, in dem sie sich gerade befanden. Seine Fingernägel waren lang gewachsen und verdreckt. Überall flogen Insekten herum und die Scheiben waren so
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