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Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
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nur mühsam mit beiden Händen aufrecht. Sein Keuchen war ein sägender, kreischender Lärm in seinen Ohren. Minuten vergingen wie Stunden, ehe er schließlich begriff, daß er selbst die Quelle jenes Lärmes war, der ihn betäubte. Die Schmerzen in seiner Brust ließen nach, und bald schon fühlte er sich imstande, aufrecht zu stehen. Er spitzte die Ohren. Der Wald war still. Niemand lachte dämonisch, niemand verfolgte ihn. Er war aber zu erschöpft, zu traurig und zu verschmutzt, um Erleichterung empfinden zu können. Er ordnete seine zerdrückte Uniform mit tauben, zitternden Fingern und auf dem Rest des Weges übte er eiserne Selbstbeherrschung. Der Kaplan gedachte oft umdüstert der Gefahr eines Herzanfalles.
    Korporal Whitcombs Jeep stand noch auf der Lichtung, Der Kaplan umschlich auf Zehenspitzen Korporal Whitcombs Zelt, weil er nicht von Korporal Whitcomb gesehen und beleidigt werden wollte. Dankbar aufseufzend, schlüpfte er hastig in sein eigenes Zelt und fand auf seiner Pritsche Korporal Whitcomb, der es sich dort mit angezogenen Knien bequem gemacht hatte. Korporal Whitcombs lehmverschmierte Stiefel ruhten auf der Decke des Kaplans. Er knabberte an der Schokolade des Kaplans und blätterte mit hämischer Miene nachlässig in einer Bibel des Kaplans.
    »Wo sind Sie gewesen?« verlangte er grob und gleichmütig zu wissen, ohne auch nur aufzublicken.
    Der Kaplan errötete und wandte sich ausweichend ab. »Ich habe einen Waldspaziergang gemacht.«
    »Na schön«, bellte Korporal Whitcomb. »Dann sagen Sie es mir eben nicht. Aber machen Sie es nur so weiter, untergraben Sie nur meine Moral!« Er biß hungrig in die Schokolade des Kaplans und fuhr mit vollem Munde fort: »Sie hatten Besuch, während Sie weg waren. Major Major war da.«
    Der Kaplan drehte sich erstaunt herum und rief: »Major Major?
    Major Major war hier?«
    »Na ja doch, eben derselbige.«
    »Wo ist er hingegangen?«
    »Er ist in den Eisenbahngraben gesprungen und weggelaufen wie ein erschrecktes Kaninchen.« Korporal Whitcomb lachte hämisch. »So ein nasses Handtuch.«
    »Hat er gesagt, weshalb er gekommen ist?«
    »Er hat gesagt, er braucht Ihre Hilfe in einer sehr wichtigen Sache.«
    Der Kaplan war erstaunt. »Das hat Major Major gesagt?«
    »Er hat es nicht gesagt«, berichtigte. Korporal Whitcomb mit vernichtender Korrektheit. »Er hat es aufgeschrieben. Es steht in dem versiegelten, für Sie persönlich bestimmten Brief, den er dort auf den Tisch gelegt hat.«
    Der Kaplan warf einen Blick auf den Kartentisch, der ihm als Schreibtisch diente, und sah dort nur die gräßliche Tomate, die er an diesem Morgen von Colonel Cathcart erhalten hatte. Er hatte sie dort vergessen, und da lag sie nun wie ein unzerstörbares, blutrotes Symbol seiner Unzulänglichkeit. »Wo ist der Brief?«
    »Ich habe ihn weggeschmissen, nachdem ich ihn geöffnet und gelesen hatte.« Korporal Whitcomb knallte die Bibel zu und sprang auf. »Was ist denn los? Sie glauben mir wohl nicht?« Damit stelzte er hinaus. Dann kam er wieder herein und stieß beinahe mit dem Kaplan zusammen, der ebenfalls hinausgehen wollte, um zu Major Major zurückzueilen. »Sie verstehen es nicht, Verantwortung zu delegieren«, belehrte Korporal Whitcomb den Kaplan verdrossen. »Das ist wieder einer Ihrer Fehler.«
    Der Kaplan nickte bußfertig und drückte sich vorbei; er vermochte sich nicht dazu zu zwingen, seine Zeit mit Entschuldigungen zu verschwenden. Er glaubte, die geschickte Hand des Schicksals zu spüren, die ihn unwiderstehlich vorwärts schob. Er begriff nun, daß es Major Major gewesen war, der ihm heute bereits zweimal im Graben der Eisenbahn entgegengestürmt war, und daß er selber in seiner Torheit zweimal das vom Schicksal verordnete Zusammentreffen verhindert hatte, indem er in den Wald geflüchtet war. Er machte sich die schwersten Vorwürfe und hastete, so schnell es gehen wollte, über die geborstenen, in unregelmäßigen Abständen verlegten Schwellen. Krümel von Schotter und Schlacke in seinen Strümpfen und Schuhen zerrieben die Haut an seinen Zehen. Ohne daß er es wußte, war sein blasses, abgespanntes Gesicht zu einer Grimasse akuter Pein verzogen. Der Augustnachmittag wurde heißer und feuchter. Von seinem Zelt bis zu Yossariáns Staffel war es fast eine ganze Meile zu gehen. Als er endlich ankam, war sein Uniformhemd naß von Schweiß. Er betrat atemlos das Schreibstubenzelt und wurde von dem tückischen, freundlich und gedämpft sprechenden Sergeanten mit

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