Catch 22
fürchtete, seine Entschlossenheit könne sich verflüchtigen, wenn er das Tempo verlangsamte. Nach einer Weile sah er eine uniformierte Gestalt zwischen den verrosteten Schienen auf sich zukommen. Sogleich kletterte er die Böschung hinauf und schlüpfte in ein dichtes Gehölz von kleinen Bäumen, um sich zu verbergen. Da er tief im Inneren des schattigen Waldes einen verwachsenen, bemoosten Pfad fand, eilte er auf diesem in seiner ursprünglichen Richtung weiter. Hier kam man nicht so leicht vorwärts, doch stürmte er mit der gleichen tollkühnen, brennenden Entschlossenheit voran, wobei er oft stolperte und ausrutschte, und sich die ungeschützten Hände an den widerspenstigen Zweigen verletzte, die ihm den Weg versperrten. Schließlich wichen Gebüsch und hohe Farne an beiden Seiten auseinander, und der Kaplan stolperte an einem olivgrünen, aufgebockten Anhänger vorbei, den er deutlich durch das dünner werdende Unterholz erblickte. Er passierte ein Zelt, vor dem eine helle, perlgraue Katze sich sonnte, dann kam er an einem weiteren aufgebockten Anhänger vorüber und schließlich erreichte er die Lichtung von Yossariáns Staffelbereich. Auf seiner Oberlippe standen salzige Tröpfchen. Er hielt nicht ein, sondern eilte mit großen Schritten über den freien Platz hinweg zur Schreibstube, wo ein hagerer Sergeant mit gebeugten.Schultern, starken Wangenknochen und langen, sehr hellblonden Haaren ihn willkommen hieß und höflich aufforderte, gleich ins Büro zu gehen, da Major Major nicht anwesend sei.
Der Kaplan dankte mit kurzem Nicken und schritt zwischen Schreibtischen und Schreibmaschinen hindurch auf den mit Segeltuch verhängten Durchgang zum hinteren Teil des Zeltes zu. Er schlüpfte durch die dreieckige Öffnung und befand sich in einem leeren Büro. Hinter ihm schloß sich der Vorhang. Er keuchte stark und schwitzte. Das Büro blieb leer. Er glaubte, verstohlenes Flüstern zu hören. So vergingen zehn Minuten. Er sah sich streng und unwillig um, schob entschlossen den Unterkiefer vor, fing dann aber an zu schlottern, als ihm die Worte des Sergeanten einfielen, er möge sogleich hineingehen, denn der Major sei abwesend. Unteroffiziere erlaubten sich also einen Scherz mit ihm!
Der Kaplan wich schreckerfüllt von der Wand zurück, und Tränen der Erbitterung traten ihm in die Augen. Seinen zitternden Lippen entrang sich ein flehendes Winseln. Major Major war nicht anwesend, und das Schreibstubenpersonal nebenan hatte ihn zum Gegenstand eines unmenschlichen Scherzes gemacht. Er konnte sie sich vorstellen, wie sie da auf der anderen Seite des Zeltvorhanges warteten, sich zusammendrängten wie ein Rudel gieriger, schadenfroher, allesfressender Raubtiere, in ihrer barbarischen Heiterkeit und hämischen Freude bereit, sich brutal auf ihn zu stürzen, sobald er zum Vorschein käme. Er verfluchte sich seiner Leichtgläubigkeit wegen und wünschte sich angstvoll so etwas wie eine Maske oder eine dunkle Brille und einen falschen Schnurrbart, um sich zu verkleiden, oder eine gewaltige, tiefe Stimme wie die von Colonel Cathcart, dazu breite, muskulöse Schultern und Oberarme, die es ihm ermöglicht hätten, furchtlos hinauszugehen und seine übelwollenden Verfolger mit jener erdrückenden Autorität und Selbstsicherheit zu vernichten, vor der sie kneifen und sich in unterwürfiger Reue verkriechen würden.
Doch fehlte ihm der Mut, ihnen gegenüberzutreten. Der einzige Ausweg führte durchs Fenster. Niemand war zu sehen. Der Kaplan verließ also Major Majors Büro vermittels Fenstersprunges, entwetzte um die Ecke des Zeltes und gelangte mit einem Satz hinunter auf die Trasse der Eisenbahn und außer Sichtweite.
Er hastete mit gekrümmtem Körper davon, das Gesicht mühsam zu einem weltgewandten, lässigen Lächeln verzerrt, für den Fall, daß er jemandem begegnen sollte. Als er jemanden aus der Gegenrichtung auf sich zukommen sah, vertauschte er die Trasse mit dem Wald und rannte wie ein Verfolgter durch das dichte Gestrüpp, die Wangen im Vollgefühl seiner Schmach brennend gerötet. Er vernahm lautes, wildes, verächtliches Gelächter um sich her, erspähte auch verwischte, boshafte, von Bier gedunsene Gesichter, die ihn aus dem Gebüsch und von den Baumkronen her angrinsten. Brennende Seitenstiche zwangen ihn zu einer verlangsamten Gangart. Er taumelte vorwärts, bis er nicht mehr weiter konnte, stieß unvermittelt gegen einen knorrigen Apfelbaum, schlug im Fallen mit dem Kopf gegen dessen Stamm und hielt sich
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