Catch 22
den runden Brillengläsern und den hageren Wangen scharf aufgefordert, draußen zu warten, da Major Major drin sei, und dahingehend belehrt, daß er erst eintreten dürfe, wenn Major Major hinausgegangen sei. Der Kaplan starrte den Mann benommen und verständnislos an. Warum nur haßt mich dieser Sergeant so? fragte er sich. Seine Lippen waren weiß und zitterten. Durst peinigte ihn. Was war nur los mit dem Menschen? War das Leben nicht ohnehin tragisch genug? Der Sergeant streckte den Arm aus und stützte den Kaplan.
»Ich bedaure, Sir«, sagte er bedauernd mit leiser, höflicher, melancholischer Stimme. »Doch Major Major hat es so befohlen. Er will niemanden sprechen.«
»Er will aber mich sprechen«, brachte der Kaplan vor. »Als ich vorhin hier war, war er in meinem Zelt, um mich zu sprechen.«
»Major Major?« fragte der Sergeant.
»Jawohl. Bitte gehen Sie rein und fragen Sie ihn.«
»Ich fürchte, das geht nicht, Sir. Er will nämlich auch mich nicht sehen. Vielleicht hinterlassen Sie eine Nachricht für ihn?«
»Ich will keine Nachricht hinterlassen. Macht er denn nie eine Ausnahme?«
»Nur in ganz besonderen Fällen. Zum letzten Mal hat er das Zelt verlassen, um an der Beisetzung eines Gefallenen teilzunehmen. Und in seinem Büro hat er nur einmal, und zwar gezwungenermaßen, Besuch empfangen. Ein Bombenschütze namens Yossarián erzwang sich . . .«
»Yossarián!« Wieder ein Zusammentreffen! Den Kaplan packte die Erregung. Sollte sich hier noch einmal ein Wunder vorbereiten? »Aber gerade über Yossarián will ich mit Major Major sprechen! War zwischen den beiden die Rede von der Anzahl der Feindflüge, die Yossarián zu absolvieren hat?«
»Jawohl, Sir, gerade davon war die Rede. Captain Yossarián hatte einundfünfzig Flüge hinter sich und bat Major Major, ihn für fluguntauglich zu erklären, damit er nicht noch weitere vier Einsätze zu fliegen brauche. Damals verlangte Colonel Cathcart nur fünfundfünfzig Einsätze.«
»Und was hat Major Major darauf gesagt?«
»Major Major hat gesagt, er könne nicht helfen.«
Das Gesicht des Kaplans verdüsterte sich. »Das hat Major Major gesagt?«
»Jawohl, Sir. Er hat Yossarián geraten, sich um Rat an Sie zu wenden. Wollen Sie wirklich keine Nachricht hinterlassen, Sir?
Ich habe Papier und Bleistift bei der Hand.«
Der Kaplan schüttelte den Kopf und nagte im Abgehen niedergeschlagen an seiner verkrusteten, spröden Unterlippe. Es war noch so früh am Tag, und doch war schon so viel geschehen. Im Wald war es kühler. Seine Kehle war trocken, ausgedörrt. Er ging ganz langsam und fragte sich gerade, welches neue Mißgeschick ihn wohl noch befallen könne, da brach der irre Eremit ohne jede Warnung hinter einem Maulbeerstrauch hervor. Der Kaplan begann aus Leibeskräften zu schreien.
Der große, leichenblasse Fremde wich ängstlich vor dem Geschrei des Kaplans zurück und kreischte seinerseits: »Tun Sie mir nichts!«
»Wer sind Sie?« rief der Kaplan.
»Bitte, tun Sie mir nichts!« rief der Mann zurück.
»Ich bin der Kaplan!«
»Warum wollen Sie mir dann etwas tun?«
»Ich will Ihnen ja nichts tun!« sagte der Kaplan mit zunehmender Reizbarkeit, ohne vom Fleck zu weichen. »Sagen Sie, wer Sie sind, und was Sie von mir wollen.«
»Ich möchte nur erfahren, ob Häuptling White Halfoat bereits an Lungenentzündung gestorben ist«, rief der Mann. »Weiter gar nichts. Ich wohne hier. Mein Name ist Flume. Ich gehöre zur Staffel, aber ich wohne hier im Wald. Da können Sie jeden fragen.«
Langsam gewann der Kaplan seine Haltung zurück, während er diese seltsame, unterwürfige Gestalt musterte. Der Mann trug an seinem zerschlissenen Hemdkragen zwei stark verrostete Spangen — die Rangabzeichen des Captains. An der Innenseite eines Nasenloches hatte er ein haariges, teerschwarzes Muttermal, darunter einen buschigen ungestutzten Schnurrbart von der Farbe der Pappelrinde.
»Warum wohnen Sie im Wald, wenn Sie zur Staffel gehören?«
erkundigte der Kaplan sich neugierig.
»Ich muß im Wald leben«, erwiderte der Captain rechthaberisch, so als müsse der Kaplan dies eigentlich wissen. Er richtete sich langsam auf, behielt den Kaplan jedoch wachsam im Auge, obschon er den Kaplan um mehr als einen guten Kopf überragte.
»Hören Sie denn niemanden über mich reden? Häuptling White Halfoat hat geschworen, mir im tiefsten Schlaf die Kehle durchzuschneiden, und ich wage es nicht, im Staffelbereich zu übernachten, solange er am Leben ist.«
Der
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