Catch 22
nicht. Ist es heiß draußen? Hier drin ist es ziemlich warm.«
»Draußen ist es sehr kalt«, sagte der Kaplan.
»Es ist übrigens etwas Merkwürdiges geschehen«, besann sich Yossarián. »Vielleicht habe ich es geträumt. Mir ist so, als sei zuvor ein Fremder hier gewesen und habe gesagt, man hätte meinen Spezi erwischt. Ob ich mir das nur einbilde?«
»Das glaube ich nicht«, belehrte ihn der Kaplan. »Als ich vorhin hier war, haben Sie schon davon gesprochen.«
»Dann hat er es wirklich gesagt. >Wir haben deinen Spezi erwischt, Freundchen<, sagte er. >Wir haben ihn erwischt.« Einen so bösartig aussehenden Menschen habe ich überhaupt noch nicht gesehen. Wer mag das wohl sein, mein Spezi?«
»Ich bilde mir gerne ein, daß ich es sei, Yossarián«, sagte der Kaplan demütig und aufrichtig. »Und mich haben sie jedenfalls erwischt. Sie kennen mich jetzt, sie halten mich unter Beobachtung und haben mich genau da, wo sie mich haben wollen. Jedenfalls sagte man mir das beim Verhör.«
»Nein, ich glaube nicht, daß er Sie meinte«, entschied Yossarián.
»Ich glaube eher, es war jemand wie Nately oder Dunbar. Einer von den Gefallenen. Clevinger, Orr, Dobbs, Kid Sampson oder MC Watt.« Yossarián sog erstaunt die Luft ein und schüttelte den Kopf. »Jetzt merke ich überhaupt erst, daß sie alle meine Freunde erwischt haben. Hungry Joe und ich sind die letzten.« Er zitterte vor Angst, als er sah, wie der Kaplan erbleichte. »Was haben Sie denn?«
»Hungry Joe ist tot.«
»Großer Gott! Abgeschossen?«
»Er ist in einem seiner Alpträume gestorben. Man fand eine Katze auf seinem Gesicht.«
»Armer Kerl«, sagte Yossarián. Er fing an zu weinen und verbarg das Gesicht an seiner Schulter. Der Kaplan ging, ohne sich zu verabschieden. Yossarián aß etwas und schlief dann ein. Mitten in der Nacht wurde er wachgerüttelt. Er erblickte einen mageren, niederträchtig aussehenden Menschen in Lazarettkleidung, der ihn mit gemeinem Grinsen ansah und höhnte: »Wir haben deinen Spezi, Freundchen. Wir haben ihn erwischt.«
Yossarián fragte matt: »Wovon reden Sie denn, zum Kuckuck?«
und dabei fühlte er Angst in sich aufsteigen.
Yossarián griff mit einer Hand nach der Kehle seines Peinigers, doch der Mann wich mühelos aus und verschwand böse lachend im Korridor. Yossarián lag zitternd und mit hämmerndem Puls da. Er war in kalten Schweiß gebadet. Er fragte sich, wer wohl sein Spezi sei. Im Lazarett war es dunkel und vollkommen still.
Er hatte keine Uhr bei sich. Er war hellwach und wußte, er war gefangen in einer jener schlaflosen, bettlägerigen Nächte, die eine Ewigkeit dauern, ehe sie sich in die Dämmerung verflüchtigen.
Kälte stahl sich an seinen Beinen herauf. Er fror, und er dachte an Snowden, der nie sein Spezi gewesen war, sondern ein Junge, den er nur vom Sehen kannte, und der schwer verwundet in dem Tümpel von grellgoldenem Licht zu Tode fror, das durch die Kuppel des MG-Turmes auf sein Gesicht fiel, als Yossarián über den Bombenschacht ins Heck der Maschine kroch, nachdem Dobbs ihn über die Bordverständigung angefleht hatte, dem Bordschützen zu helfen, doch bitte dem Bordschützen zu helfen. Yossariáns Magen drehte sich um, als er die grauenhafte Szene betrachtete; er war angewidert und zögerte ängstlich einige Sekunden, ehe er hinunterkroch, blieb auf Händen und Knien in dem engen Tunnel über dem Bombenschacht neben dem versiegelten Verbandkasten.
Snowden lag mit ausgestreckten Beinen auf dem Rücken, behindert von der ungefügen Last des Flakanzuges, des Stahlhelms, des Fallschirms und der Schwimmweste. Nicht weit von ihm lag der zierliche Heckschütze in tiefer Ohnmacht. Die Wunde, die Yossarián sah, klaffte in der Außenseite von Snowdens Oberschenkel und schien so groß wie ein Rugbyball. Man konnte unmöglich sagen, wo die Fransen seiner durchtränkten Kombination endeten und das zerfetzte Fleisch begann.
Im Verbandkasten war kein Morphium, und es gab für Snowden keinen Schutz vor dem Schmerz außer dem betäubenden Schock, den die Wunde selbst verursachte. Die zwölf Morphiumampullen waren aus dem Kasten gestohlen worden, und an ihrer Stelle lag ein Zettel mit der Aufschrift: »Was M & M nützt, nützt auch dem Vaterland. Milo Minderbinder.« Yossarián verfluchte Milo und hielt zwei Aspirintabletten an die aschfarbenen Lippen, die nichts damit anfangen konnten. Zunächst aber band er hastig Snowdens Oberschenkel ab, denn etwas anderes fiel ihm in diesen ersten wirren
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