CATCH - Stunden der Angst: Thriller (German Edition)
ging bis auf zwei Meter auf ihn zu und blieb dann so abrupt stehen, als ob ein Kraftfeld sich um den Körper gelegt hätte. Später würde er sich fragen, ob es einfach nur die Angst oder der Ekel gewesen war – oder ob in diesem Moment schon der Selbsterhaltungstrieb die Kontrolle übernommen hatte.
Keine Spuren am Tatort zurücklassen.
»O Scheiße«, flüsterte Robbie. »Wir haben ihn ja wirklich erwischt.«
Dan kramte linkisch nach seinem Handy, ließ es beinahe fallen. Er sah auf das Display. »Kein Netz.«
»Was?« Als Robbie das Telefon sah, erschauderte er kaum merklich. »Wir müssen hier weg, Alter. Auf der Stelle.«
»Was ist, wenn er noch lebt?«
Robbie war einen Moment still. Dann fluchte er wieder halblaut. »Mist. Er könnte uns identifizieren.«
Er schob sich vorbei, bevor Dan erklären konnte, dass seine Frage ganz anders gemeint war. Wenn O’Brien schwer verletzt wäre, dann müssten sie ihm helfen. Irgendwie den Rettungsdienst alarmieren. Oder ihn auch selbst ins Krankenhaus fahren, wenn es sein musste.
Aber Robbie hatte auch recht. So furchtbar es war, es wäre vielleicht wirklich besser, wenn Hank tot war …
Bei dem Gedanken spürte Dan ein Kribbeln an den Schläfen. Kalter Schweiß brach ihm am Rücken aus, und plötzlich war er wieder vierzehn, kam von der Schule nach Hause, wo statt seiner Mutter seine Tante auf ihn wartete. Ein Polizeiauto parkte vor dem Haus, und zwei uniformierte Beamte standen in der Küche. Einer der beiden, eine junge Frau, begrüßte Dan mit einem so abgrundtief falschen Lächeln, wie er es noch nie gesehen hatte …
»Ich muss kotzen.«
»Nicht hier.« Robbie scheuchte Dan mit einer hektischen Geste von Hanks Körper weg. Als sein benebeltes Hirn endlich begriffen hatte, wankte er zum Fiesta zurück und weiter auf die andere Straßenseite. Mit der aufsteigenden Übelkeit kam ihm eine Erkenntnis, die sein Unwohlsein noch verdoppelte.
Er war ein Feigling.
6
Wenn hier jemand kotzte, dachte Robbie, dann hätte es eigentlich er sein müssen. Das ganze Bier, dazu noch ein paar Linien Koks – und jetzt das.
Aber irgendwie fühlte er sich trotzdem gut. Er hatte einen klaren Kopf und war stocknüchtern.
Robbie hatte immer schon gefunden, dass er ein guter Krisenmanager war. Der Trick bestand darin, nicht zu weit vorauszuschauen, sich nicht zu viele Köpfe zu zerbrechen , wie sein Vater immer gesagt hatte – bevor er sich aus dem Staub gemacht hatte, ohne sich noch über irgendjemanden oder irgendetwas den Kopf zu zerbrechen.
Jetzt analysierte Robbie die Situation mit kühler, sachlicher Logik. Die erste Stufe war das Akzeptieren der Realität. Er hatte eine Riesendummheit gemacht. Ganz gleich, was Dan glauben mochte – ganz gleich, was irgendjemand glauben mochte –, es war keine böse Absicht gewesen. Aber es war passiert, und er konnte es nicht ungeschehen machen, also war es sinnlos, noch lange darüber nachzugrübeln. Die Konsequenzen waren das Einzige, worauf es jetzt ankam. Die Konsequenzen – und wie man sie umgehen konnte.
Er machte ein paar Schritte auf Hank zu. Dabei spürte er etwas Festes unter seiner Sohle, und als er den Fuß hob, war ein leises Schmatzen zu hören.
Es war der Umschlag. Der verdammte Umschlag mit dem Bündel Bargeld. Er hob ihn auf und sah, dass er voll Blut war. Ein Teil des Profils seiner Sohle zeichnete sich auf dem Rand ab. Allein aus diesem Grund konnte er ihn nicht hier liegen lassen.
»Das gehört mir, glaub ich«, murmelte er. Er steckte den Umschlag ein und warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Dan ihn nicht beobachtete. Dann trat er näher zu dem Verunglückten.
O’Brien war drei oder vier Meter weit durch die Luft geschleudert worden. Er wäre vielleicht noch weiter geflogen, wäre da nicht ein Baum im Weg gewesen. Der Mann lag ganz verrenkt da, der Kopf halb im Graben versunken, seine kurzen, dicken Arme und Beine in unmöglichen Winkeln ausgestreckt, als hätte er beim Versuch, ein Rad zu schlagen, das Gleichgewicht verloren.
Widerwillig, weil er wusste, dass jede Sekunde, die sie hier verweilten, ihr Untergang sein könnte, stieg Robbie in den Graben, so weit, bis er eine Position erreicht hatte, aus der er O’Briens Gesicht inspizieren konnte.
Zuerst sah er nur das Blut, das aus Nase und Mund rann. Am Kopf war noch mehr davon, dunkel wie Melasse klebte es in den Haaren. Dicke Tropfen hingen in den buschigen, grau melierten Augenbrauen. Überall Blut, und dennoch
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