CATCH - Stunden der Angst: Thriller (German Edition)
seine zweite Frau auszubezahlen und Geld in einen Treuhandfonds für ihren erwachsenen Sohn einzubezahlen, der schwerbehindert war. Jerry besuchte den Jungen nie – wenn er ehrlich war, ertrug er es nicht einmal, an ihn zu denken –, doch so hatte er das Gefühl, wenigstens in finanzieller Hinsicht seine Pflicht getan zu haben.
Es waren nicht gerade die Wohnverhältnisse, die er sich für seinen Lebensabend vorgestellt hatte. Er hatte auf etwas Größeres gehofft, irgendwo in den Außenbezirken, mit En-suite-Bad und so einer riesigen Küche, wie die Blakes eine hatten. Dazu ein schöner Garten mit einem Gartenhäuschen als Refugium und vielleicht einem Whirlpool auf der Terrasse.
Aber was er hatte, war nun mal dieses Haus – und Jen-Ling. Und an seinen guten Tagen wusste Jerry, dass er seinem Schicksal dafür dankbar sein sollte.
Im Moment hätte er diesen Tag zwar nicht als einen der guten eingestuft, aber es war auch nicht gerade ein schlechter. Er wusste eigentlich nicht so recht, ob es ihm gut oder schlecht ging, und so genehmigte er sich das eine oder andere Gläschen mittelteuren Brandy, während er über die Frage nachdachte.
Er war überrascht, als es an der Tür klingelte. Das Geräusch war schon verhallt, ehe er begriff, was es bedeutete – Besuch nämlich –, und selbst dann musste er sich erst einmal aufsetzen und einen Moment lang darüber nachdenken. Normalerweise übernahm Jen-Ling es, Besuchern zu öffnen, wie sie auch den gesamten Haushalt übernahm, und so lehnte er sich zurück und wartete darauf, dass sie sich darum kümmerte. Und dann fiel ihm mit einem kleinen Schreck ein, dass Jen-Ling ja heute Abend nicht zu Hause war.
Ups. Möglicherweise war er doch schon etwas beschwipster, als er gedacht hatte.
Er stand auf, ächzend und knackend wie ein alter Zaun. Von all den Stunden, die er diese Woche im Freien verbracht hatte, in irgendwelchen beschissenen Wiesen hinter Büschen hockend, waren seine Gelenke steif geworden und taten tierisch weh.
Er machte die Tür erst auf, nachdem er durch den Spion geschaut hatte. Eine elementare Vorsichtsmaßnahme in diesen Zeiten. Er war sich nicht sicher, wen er erwartet hatte, aber bestimmt nicht Stemper, der mit gelangweilter Miene vor der Tür stand.
Jerry machte auf. Stemper trug eine Regenjacke über einem Anzug und hatte seinen Aktenkoffer unterm Arm. Doch nicht etwa noch ein Scheißjob?
»Was gibt’s?«, fragte Jerry.
»Ich finde, wir sollten uns mal über die Blakes unterhalten.«
»Ach ja?« Jerry hatte nicht vor, sich zu irgendwelchen unbedachten Äußerungen hinreißen zu lassen.
»Sie hauen uns übers Ohr. Ich habe ja keine Ahnung, was sie Ihnen bezahlen, aber jetzt, da wir wissen, dass es um fünfzig Millionen geht, könnte ich wetten, dass es im Vergleich dazu Peanuts sind.«
»Gestern haben Sie sich aber nicht so unglücklich angehört.«
»Man muss den richtigen Moment wählen, Jerry. Abwarten, bis man in einer Position ist, Druck auszuüben.« Stemper lachte angewidert und trat von einem Fuß auf den anderen, als ob ihm kalt wäre. »Stellen Sie sich vor – eine Flasche billigen Whisky haben sie mir geschickt als ›Dankeschön‹ für meine bisherigen Bemühungen. Als ob ich das als eine angemessene Entschädigung betrachten würde für alles, was ich für sie getan habe.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Die verarschen uns bloß.« Jerry machte die Tür weit auf. »Wollen Sie nicht reinkommen?«
Stemper folgte Jerry durch einen engen, düsteren Flur in ein Wohn-Esszimmer mit Laminatboden und beigefarbenen Wänden. Die Einrichtung bestand aus einem großen Fernseher, in dem eine alte Folge von Dad’s Army lief, und einem Satz Beistelltischen. Auf dem kleinsten standen eine geöffnete Flasche Weinbrand und ein Cognacschwenker.
Während Jerry sich hinsetzte, deutete er auf die Flasche und sagte: »Mir haben sie den da gegeben. Ich meine, St. Remy ist nicht direkt schlecht. Verschmähen werde ich ihn nicht, aber Gordon weiß, dass ich ein Cognacliebhaber bin, wir haben erst vor ein paar Wochen darüber geredet. Wenn sie ernsthaft ihre Anerkennung zum Ausdruck bringen wollten, hätten sie mir eine Flasche Hine Antique XO schenken können.«
»Das XO ist die Prädikatsbezeichnung?«
»Ja. Extra Old. « Jerry schnaubte. »Hätte ich mir ja denken können, dass Sie sich mit Cognac auskennen wie mit allem anderen auch.«
»Eher weniger.« Stemper sah sich demonstrativ im Zimmer um. »Ist Ihre Frau auch da?«
»Das ist die
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