CATCH - Stunden der Angst: Thriller (German Edition)
trat ein. Er war ein großer Mann, über eins neunzig, mit deutlich gebeugter Haltung und einem Gesicht, dem man schon ansah, dass es sich nicht gut halten würde. Mit vierunddreißig wurden die markanten Züge, die sie einst so bewundert hatte, bereits schwammig und schlaff, und seine Wangen waren aufgedunsen und bleich.
»Hast du zugenommen?«
Er schnaubte. »Geh nicht mehr ins Fitnessstudio. Du siehst fantastisch aus. Besser als je zuvor.«
Gut vom Thema abgelenkt , dachte sie. »Ich nehme an, du bist nicht einfach gekommen, um Hallo zu sagen?«
»Stimmt.« Er betrachtete sie ein paar Sekunden lang, als ob er bei seinem inneren Monolog den Faden verloren hätte. Dann strich er sich mit den Händen übers Gesicht und sagte: »Mann, ich bin fix und fertig.«
»Janine nimmt dich wohl zu hart ran, wie?«
Cate erwartete, dass er sie wegen dieser flapsigen Bemerkung zurechtweisen würde. In den vergangenen achtzehn Monaten hatte Martin wiederholt erklärt, er sehe keinen Grund, warum sie nicht alle miteinander auskommen sollten – Martin und Cate und Janine, seine Exfrau und seine derzeitige Gespielin, glücklich vereint in ihrer Verehrung eines ganz besonderen Mannes.
Von wegen.
Jetzt tat Martin allerdings etwas, was so gar nicht zu ihm passte: Er errötete. Cate konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn das letzte Mal hatte rot werden sehen – ganz bestimmt nicht, als er ihr gesagt hatte, dass er sie verließ. Nicht einmal, als sie erraten hatte, dass es Janine war, mit der er schon seit Monaten vögelte.
»Was?« fragte sie und kam sich vor, als zöge sie gerade den Sicherungsstift von einer Handgranate ab.
Martin senkte den Kopf, er wirkte immer noch nervös. Seine schwarzen Haare waren militärisch kurz geschnitten, aber Cate glaubte, hier und da eine graue Strähne zu erspähen. Abgelenkt durch ihre Entdeckung, hätte sie fast seine gemurmelte Erwiderung überhört.
»Janine ist schwanger.«
Cate wankte benommen ins Wohnzimmer. Eine schrille Stimme begann in ihrem Kopf zu zetern. Die Gedanken, die sie von sich gab, waren ihre eigenen, aber die Stimme schien einer anderen Frau zu gehören – einer Xanthippe, wie sie selbst nie eine hatte werden wollen.
Was tust du hier? Warum erzählst du mir das? Willst du nur Salz in die Wunde streuen, oder gibt es noch einen anderen Grund?
Martin tappte hinter ihr drein und blieb abrupt stehen, als sie sich umdrehte und ihn anfuhr: »Was willst du von mir?«
»Noch weiß es sonst niemand. Ich dachte mir, du solltest die Erste sein.«
Cate nickte, doch seine Erklärung ließ sie ratlos zurück. Schweigend starrten sie einander an, ein wenig zu sehr auf Tuchfühlung in der intimen Atmosphäre des kleinen Zimmers. Martin versuchte, sich an ihr vorbeizuschieben, da tat es plötzlich einen hohen Knall, und man hörte das Knirschen von Glasscherben.
»Mensch, Martin, kannst du nicht aufpassen?«
»Tut mir leid. Ich hab es nicht gesehen.«
»Es stand direkt vor dir.«
»Ja, sicher – auf dem Boden. Wer lässt denn ein Weinglas auf dem Boden stehen?«
»Ich habe dich nicht hier reingebeten. Weiß Gott nicht, nach dem Abend, den ich hinter mir habe …«
»Ich hab doch gesagt, es tut mir leid. Ich hol einen Lappen, ja?«
»Nein, ich mach das schon. Du kannst die Scherben auflesen.«
Martin bückte sich, hielt dann aber inne. »Du hast nicht zufällig ein Paar Gartenhandschuhe da?«
»Was?«
»Damit ich mich nicht schneide.« Er wies auf den Boden. »Ich bitte dich. Ich weiß genau, was ich von dir zu hören kriegen würde, wenn ich den Teppich vollbluten würde.«
Du lieber Gott, es ist, als hätten wir uns nie getrennt …
Bei dem Gedanken musste Cate laut auflachen, was ihr einen bösen Blick von Martin einbrachte – er mochte es gar nicht, wenn man sich über ihn lustig machte. Und da hatte sie beinahe schon geglaubt, er könne nachvollziehen, wie sehr seine Nachricht sie aufgewühlt hatte.
Sie holte einen Packen Küchenpapier, Schaufel und Handbesen. Martin hatte inzwischen das größte Bruchstück des Weinglases gefunden und sammelte systematisch die kleineren Scherben ein, stapelte sie der Größe nach, als wären es Teile eines Puzzles, das in einer genau festgelegten Reihenfolge zusammengesetzt werden musste.
Er trat zurück, um ihr Platz zu machen, und während er zusah, wie sie mit dem Papier den Wein aus dem Teppich aufsaugte, erlebte Cate ein Beispiel für die unerklärliche Telepathie, die Paare oft verbindet – selbst solche, die nicht
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