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Cathérine de Montsalvy

Titel: Cathérine de Montsalvy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benzoni Juliette
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Gefallen lenkte. Die Überwindung, zu der sie sich jeden Tag zwingen mußte, um nichts von ihren wahren Gefühlen zu zeigen und zu lächeln, war übermenschlich. Um es zuwege zu bringen, mußte sie den Augenblick beschwören, für den sie diese vielen Monate gelebt hatte, den Moment, in dem ihr Feind ihr endlich ausgeliefert wäre. Und so kam es, daß sie in sich neue Energiequellen entdeckte. Aber eins hatte sie sich am Morgen nach jener höllischen Nacht mit Gilles de Rais geschworen: Selbst um ihren Auftrag zum guten Ende zu führen, selbst um La Trémoille nach Chinon zu locken, würde sie sich nicht so weit erniedrigen, sich diesem zutiefst korrupten Wesen hinzugeben, dessen Körperlichkeit sie abstieß. Wenn es ihr nicht gelänge, ihn sich fernzuhalten, bevor sie ihn überredet hätte, Amboise zu verlassen und nach Chinon zu gehen, hatte Cathérine beschlossen, La Trémoille zu töten, auch auf die Gefahr hin, dafür hingerichtet zu werden. Zumindest würde man sie nicht dem Henker übergeben, ohne sie zuvor anzuhören.
    Doch um zu töten, brauchte man eine Waffe, und Waffen besaß sie nicht. Insgeheim hoffte sie darauf, daß Tristan ihr eine zustecken würde, aber dazu müßte er die Möglichkeit finden, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.
    Alle diese Gedanken plagten die junge Frau in den langen Stunden der Unbeweglichkeit hinter den roten Bettvorhängen. Die Geräusche des Schlosses – die Rufe der Posten, die Ablösung der Wachen, die Stimmen der Dienerinnen, militärische Befehle, galoppierende Pferde, Widerhall von Musik – waren die einzigen Ablenkungen Cathérines, die sich zu Tode langweilte. Die ganze übrige Zeit starrte sie auf eine Statue des Erzengels Michael, die auf einem kleinen Tisch gegenüber ihrem Bett stand, und wunderte sich, eine so fromme Statue in dem Zimmer vorzufinden, das La Trémoille seinen kurzlebigen Liebschaften vorbehielt.
    Doch dieses reduzierte Leben hatte auch sein Gutes. Es gestattete Cathérine, ihre Kräfte wiederzugewinnen. Einer erzwungenen Ruhe unterworfen, gut genährt und sorgsam gepflegt, fand sie sehr schnell ihre alte Vitalität wieder.
    Als der sechste Tag anbrach, entschied sie, daß es jetzt Zeit sei zu handeln. Ein kleiner Vorfall erinnerte sie daran, daß es endlich galt, die Dinge beim Schopf zu packen. Wie sie es an jedem Morgen um die Stunde zu tun pflegte, in der die Schloßbewohner ihr erstes Mahl einnahmen, das heißt also nach der Morgenmesse, brachte die alte Chryssoula (oder war es vielleicht Nitsa?) Cathérine etwas zur Erfrischung: ein Gericht gebratener Täubchen, einen Krug Wein und ein Brot, in welchem Cathérine einen winzigen Streifen zusammengerollten Pergaments fand.
    Schnell ließ sie das Röllchen verschwinden, um es vor den scharfen Augen der Alten zu bewahren, und zog es erst hervor, als ihre Wächterin mit dem leeren Geschirr wieder hinausgegangen war. Das Billett enthielt nur drei Worte, aber so drohend in ihrer Prägnanz, daß Cathérine zusammenfuhr. »Vergiß Sara nicht!« stand da geschrieben, und sie begriff, daß es von Gilles de Rais kam, daß der Herr Blaubart die Geduld verlor und in seiner Gier, den fabelhaften Diamanten zu besitzen, gefährlich werden konnte. Was war zu tun, um Sara seinen Klauen zu entreißen? Den Diamanten stehlen? Cathérine hätte es gern getan, wenn es sich lediglich darum gehandelt hätte, Sara zu retten. Aber sie mußte im Schloß bleiben, und außerdem hatte sie keine Ahnung, wo La Trémoille das Juwel aufbewahrte. La Trémoille um die Freilassung Saras bitten? Gewiß, das wäre ohne Zweifel leicht, denn der dicke Kämmerer schien sehr bereit, ihr zu Gefallen zu sein. Hatte er ihr nicht am Abend zuvor eine schöne Goldkette gebracht und ihr zu verstehen gegeben, daß die Zahl und Schönheit der Geschenke, die sie erhalten werde, von ihrem Entgegenkommen abhängen würde? Aber würde Gilles de Rais, wenn man ihm Sara mit Gewalt entrisse, sich nicht rächen, indem er die wahre Identität Cathérines verriete, die von diesem Augenblick an nichts mehr retten könnte?
    Ihre Turmkammer und das Eingesperrtsein wurden ihr plötzlich unerträglich. Sie hielt es nicht mehr länger im Bett aus, und als die Alte zurückkam, fand sie sie aufgestanden vor.
    »Zieh mich an!« befahl Cathérine. »Ich will hinausgehen!«
    Die Alte starrte sie ungläubig an, schüttelte dann den Kopf und deutete auf die einzige Tür der Kammer, die direkt in das riesige, runde Gemach führte, das La Trémoille bewohnte.

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