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Cathérine de Montsalvy

Titel: Cathérine de Montsalvy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benzoni Juliette
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stürzen.
    Als die Nacht angebrochen war und hoch oben im Schloß, im großen Uhrenturm, die Marie Javelle genannte Glocke, durch deren Schlag das Leben der Stadt seinen Rhythmus erhielt, das Abendgeläut angestimmt hatte, war Stille auf der Straße eingetreten. Cathérine riskierte es, ihr Fenster zu öffnen und sich hinauszulehnen, ohne sich mit einem Schleier zu bedecken. Statt des Schleiers mußte die Nacht genügen, obgleich sie nach Saras Meinung noch viel zu hell war …
    Es war wahr. Die Nacht war herrlich, von einem dunklen, zarten und tiefen Blau und von funkelnden Sternen übersät … Eine Nacht, für die Liebe geschaffen, nicht für die Intrige. Gewiß, die Sicht reichte nicht weiter als bis zur gegenüberliegenden Straßenseite, wo festverschlossene Fensterläden und tiefe Stille von dem Schlaf der guten Bürger kündeten, die dort wohnten, eines Helmschmieds, dessen Lärm die Straße den ganzen Tag erfüllte, und eines Apothekers, dessen Erzeugnisse sie mit ihren Düften durchzogen.
    Jetzt jedoch, nachdem die Tagesgeräusche verstummt waren, breitete sich über die schlafende Stadt etwas wie ein Mysterium. Cathérine schien es, als befinde sie sich im Inneren eines festen und kostbaren Reliquienschreins, einer Art unverletzlichen Zufluchtsorts, und fragte sich, ob dies nicht auf den Schatten Johannes zurückzuführen sei. Im leisen Plätschern des Flusses, in dem entfernten, fast unhörbaren Gesang der rauschenden Bäume, selbst im Ruch der fruchtbaren Erde, der zu ihr drang, vermischt mit einem vagen Duft von Wasser und Jasmin, glaubte Cathérine noch die helle Stimme des großen Mädchens zu hören, das von so weit hergekommen war und durch ihr flüchtiges Auftauchen ihr Leben wie mit einem unauslöschlichen Siegel gezeichnet hatte … Jehanne! Als sei sie immer noch hier, in dieser befestigten Stadt, die sie nie vergessen würde! Diesen Namen, der im ganzen Königreich aus Furcht vor den Spionen La Trémoilles nur flüsternd ausgesprochen wurde, wagte Chinon auf seinen Straßen laut zu verkünden und bewahrte die Erinnerung an seine Trägerin in jedem seiner Steine … Wenn die Nacht sich herabsenkte, gewann das weiße Phantom wieder Leben und spukte in jedem Haus.
    Mechanisch hob Cathérine die Augen zur Milchstraße am Himmel, als suche sie dort den Widerschein einer silbrigen Rüstung.
    »Jehanne!« murmelte sie ganz leise. »Helft mir! Weil ich Euch dem Tode habe entreißen wollen, fand ich ein Glück, das ich für unmöglich hielt! Euch verdanke ich's … Gebt, daß die vielen Schmerzen nicht umsonst erlitten wurden! Gebt mir die Liebe zurück, das verlorene Glück …«
    Etwas Frisches, Duftendes, das sie am Hals traf, unterbrach ihre Träumerei und führte sie wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Unwillkürlich griff sie zu, erwischte den Rosenstrauß in dem Moment, in dem er wieder hinauszufallen drohte, und hob ihn an die Nase. Er duftete herrlich … Sich ins Dunkel der Straße hinausbeugend, suchte die junge Frau festzustellen, woher der Blumengruß gekommen sein mochte, und entdeckte unter dem Vordach des gegenüberliegenden Hauses eine hohe, dunkle Gestalt, die sich langsam aus ihrem Versteck löste.
    Aber schon bevor sie voll sichtbar geworden war, wußte Cathérine, wer es war. Langsam schritt Pierre de Brézé in die Mitte der Gasse und blieb dort unbeweglich einige Augenblicke stehen, zu dem Fenster aufblickend, das die graziöse Silhouette der jungen Frau einrahmte. Sie konnte seine Gesichtszüge nicht unterscheiden, aber sie hörte, daß er ihren Namen murmelte.
    »Cathérine …!«
    Sie antwortete nicht, von plötzlicher Erregung erstickt. Ihr Herz hatte wie rasend zu schlagen begonnen. Sie fühlte, daß sie wie eine Jungfrau errötete, weil Pierre in die vier Silben ihres Namens mehr Liebe gelegt hatte als in ein Gedicht. Sie verspürte das heftige Verlangen, ihm die Hände entgegenzustrecken, um ihn näher heranzuziehen, zu ihr … In diesem Augenblick tauchte der Mond über einem Dachgiebel auf, flimmerte auf den Schiefern, versilberte sie, warf seinen Schein in die Straße und umhüllte mit ihm die reglose Gestalt des jungen Mannes, bevor er das Fenster erhellte und ins Zimmer glitt. Instinktiv hob Cathérine den Arm gegen das allzu helle Licht und trat einen Schritt zurück. Aber sie hatte noch Zeit, zu sehen, wie er ihr eine Kußhand zuwarf …
    Es war jetzt zu hell, und es war unvorsichtig, sich noch einmal zu zeigen, aber die Versuchung war zu stark.

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