Cathérine und die Zeit der Liebe
wieder zu Josse.
»Brechen wir auf«, sagte sie, »brechen wir schnell auf!«
Er sah sie an, verblüfft über ihre in so wenigen Augenblicken bewirkte Verwandlung, und konnte sich nicht enthalten zu sagen: »Wahrhaftiger Gott! Dame Cathérine, ihr seht aus wie ein Kampfhahn!«
»Wir werden ja kämpfen, mein Freund, mit allen Waffen, mit allen Listen und Tücken, die sich uns bieten! ich will meinen Gatten dieser Frau entreißen, oder ich werde mein Leben verlieren! Zu Pferd!«
Wie Schatten glitten Cathérine und Josse aus dem Klostergang hinaus. Die einzige Gefahr bestand in der Durchquerung des großen Saals, aber das Feuer war schon heruntergebrannt. Es gab ausgedehnte dunkle Stellen … Während sie sich mit der Vorsicht einer Katze zwischen den ausgestreckten Körpern hindurchwand, warf Cathérine, durch ihre Verkleidung gut geschützt, einen Blick zum Feuerherd hinüber. Jan van Eyck stand aufrecht davor, das Gesicht zur Glut gewandt, und unterhielt sich leise, aber lebhaft mit Ermengarde. Wahrscheinlich besprachen sie ihren Plan … Cathérine konnte sich eines Lächelns nicht enthalten und sandte ihnen ein spöttisches, stummes Lebewohl hinüber.
Langsam gelangten die beiden Flüchtlinge zur Tür. Vorsichtig öffnete Josse sie halb. Aber das leise Geräusch des Öffnens wurde von dem tiefen Schnarchen der Navarreser, die ganz in der Nähe durcheinanderschliefen, überdeckt … Cathérine glitt hinaus, und Josse folgte ihr.
»Gerettet!« flüsterte er. »Kommt schnell!«
Er ergriff ihre Hand und zog sie aus dem Hospizbereich hinaus.
Unter dem Gewölbe des Torweges standen wartend zwei Pferde, gesattelt, die Hufe mit Lappen umwickelt. Freudig streckte Josse den Arm aus und wies zum Himmel, wo sich Wolken ballten. Der Mond war schon fast völlig aufgeschluckt. Das gefährliche, allzu helle Licht nahm von Minute zu Minute ab.
»Seht! Der Himmel ist mit uns! In den Sattel, aber paßt auf! Der Weg ist holprig und gefährlich!«
»Weniger gefährlich als die Menschen im allgemeinen und die Freunde im besonderen!« entgegnete Cathérine.
Einige Augenblicke später ritten Cathérine und ihr Gefährte im kleinen, vorsichtigen Trab auf der Straße nach Pamplona. Mit einer trotzigen Gebärde grüßte die junge Frau im Vorbeireiten den riesigen Felsen, den nach der Legende das Schwert des tapferen Roland von oben bis unten gespalten hatte. Roland hatte einen Berg entzweigehauen. Sie würde noch Besseres tun! …
Kapitel 5
Josse Rallard zügelte das Pferd und streckte den Arm aus. »Das ist Burgos«, sagte er, »und die Nacht bricht an. Bleiben wir hier?«
Mit gerunzelter Stirn blickte Cathérine einen Augenblick auf die zu ihren Füßen liegende Stadt. Nach der unendlichen Einsamkeit des rauhen, vom Frost verharschten, sturmgepeitschten Hochplateaus, nach den weiten Ebenen von verwaschenem Gelb war die Hauptstadt der Könige von Kastilien enttäuschend. Eine große graugelbe Stadt, von Wällen derselben Farbe eingeschlossen und dem drohenden Massiv einer Feste beherrscht. Nichts besonders Bemerkenswertes: … Doch, eines: ein riesiger Bau, von Gerüsten umgeben, aber kunstvoll wie eine Klöppelarbeit geformt, wie ein Juwel ziseliert, der im schwachen Abendlicht wie aus rotgelber Ambra wirkte, überragte die Stadt, als wollte er sie unter seine Fittiche nehmen – die Kathedrale. Am Fuße der Wälle, überdacht von den Doppelbögen einer Brücke, floß träge und schlammig ein Fluß. All dies machte einen düster-kalten und feuchten Eindruck. Cathérine wickelte ihren dicken Reitermantel fester um sich, hob die Schultern und seufzte:
»Irgendwo müssen wir bleiben! Gehen wir also!«
Schweigend setzten die beiden Reiter ihren Weg fort, den leicht abschüssigen Hang hinunter, erreichten die Brücke, an deren Ende sich zwischen zwei mit Schießscharten versehenen Rundtürmen das Tor Santa Maria öffnete. Es war Markttag. Daher war auch die Brücke überfüllt; Bauern mit ziegelroten Gesichtern und schwarzen Bärten, mit starken Backenknochen und niedrigen Stirnen, in Ziegen- oder Schafsfelle gekleidet; Frauen in roten oder grauen Wollkleidern, die oft auf ihren von einem Schal umhüllten Köpfen irdene Töpfe oder aus Weiden geflochtene Körbe trugen; zerlumpte Bettler, barfüßige kleine Jungen mit blitzenden Augen, vermischt mit der ganzen Kavallerie der Straßen Spaniens: Eseln, Maultieren, grob gezimmerten Fuhrwerken, von denen sich gelegentlich, mit Mühe im Gleichschritt gehalten, das edle
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