Cato 03 - Der Zorn des Adlers
dem langen, langweiligen Winter, den er zum größten Teil in gut geheizten Baracken verbracht hatte, kam hier die Gelegenheit, endlich wieder ein richtiger Soldat zu sein.
Vespasian gestattete seinem Sklaven einen letzten Handgriff an der roten Schleife seines Brustharnischs und drehte sich dann herum, um das Lager zu verlassen und seinen Platz an der Spitze der Kolonne einzunehmen. Doch bevor er das Tor erreicht hatte, hielt ein schriller Ruf von der Höhe des Wachturms ihn mitten im Schritt zurück.
»Reiter von Nordosten!«
»Was jetzt?«, murmelte Vespasian und klopfte sich verärgert auf den Schenkel. Durchs Tor sah er die drei Kohorten, die nur darauf warteten, ihren Kameraden zu Hilfe zu eilen. Doch er konnte die Legion nicht verlassen, ohne sich vorher vergewissert zu haben, ob dem Lager noch von einer anderen Seite Gefahr drohte. Gleichzeitig aber würde jede Verzögerung die Vierte Kohorte zusätzliche Männer kosten. Die Entsatzkolonne musste sofort losmarschieren. Und da der Legat sich gleichzeitig vergewissern musste, was im Nordosten gesichtet worden war, brauchte sie einen anderen Kommandanten. Er schaute zum Wachturm hoch.
»Lagerpräfekt!«
Ein Gesicht tauchte über der Palisade auf, dunkel vor dem Hintergrund des Himmels.
»Übernimm das Kommando.«
Als Vespasian das Lager eilig durchquert und den Wachturm am Nordtor erklommen hatte, war er wieder völlig außer Atem. Er beugte sich heftig nach Luft schnappend über die Brüstung und warf einen letzten Blick auf die Entsatzkolonne, die sich durch die hügelige Landschaft auf das dunkle Karree winziger Gestalten der Vierten Kohorte zuschlängelte. Sextus war zuverlässig und würde die Operation so durchführen, dass kein Soldat mehr als nötig fiel. Lagerpräfekten waren in der Regel längst über die abstoßende – und gefährliche – Ruhmessucht hinaus, die für manche Untertribune so typisch war. Wenn er ehrlich mit sich war, konnten sich die Männer der Entsatzkolonne unter Sextus’ Führung wahrscheinlich sicherer fühlen als unter seiner eigenen. Seine Enttäuschung, dass er dem Lagerpräfekten das Kommando hatte übergeben müssen, wurde durch diesen Gedanken jedoch nicht gemindert.
Sobald er wieder ruhiger atmete, drehte Vespasian sich um und ging zu dem Wachsoldaten hinüber, der nach Norden Ausschau hielt.
»Wo sind jetzt die verdammten Reiter?«
»Im Moment kann ich sie nicht sehen, Herr«, antwortete der Wachtposten, den der Gedanke, der Legat könne einen falschen Alarm vermuten, nervös machte. Er fuhr eilig fort: »Sie sind in diese Senke dort geritten, Herr. Gerade eben. Bestimmt tauchen sie gleich wieder auf, Herr.«
Vespasian blickte zu dem flachen Tal hinüber, das in kaum einer Meile Entfernung parallel zum Lager verlief. Doch das einzige Lebenszeichen waren ein paar Rauchkräusel, die über einer kleinen Gruppe strohgedeckter Hütten aufstiegen. Sie warteten schweigend, und der Wachtposten, der das Auftauchen der Reiter herbeisehnte, wurde immer unruhiger.
»Wie viele hast du gesehen?«
»Etwa dreißig, Herr.«
»Unsere Leute?«
»Zu weit weg, um es sicher sagen zu können, Herr. Vielleicht trugen sie rote Umhänge.«
»Vielleicht?« Vespasian wandte sich dem Wachtposten zu, einem älteren Mann, der schon zahlreiche Jahre unter der Adlerstandarte gedient haben musste. Lange genug, um zu wissen, dass ein Wächter nur Einzelheiten berichten sollte, deren er sich sicher war. Der Legionär verkrampfte sich unter dem Blick des Legaten, war aber klug genug, sich jede weitere Bemerkung zu verkneifen. Vespasian kochte innerlich vor Verärgerung, dass er durch den Wächter von seinem ursprünglichen Vorhaben abgebracht worden war. Hätte er die Zahl der Reiter vorher gekannt, hätte er die Angelegenheit Sextus überlassen können. Aber dafür war es nun zu spät, und sich an diesem nervösen Wachtposten schadlos zu halten wäre schlechter Stil. Lieber gab er sich gleichmütig, ganz der unerschütterliche Kommandant, den er für die Männer seiner Legion darstellte.
»Schau, Herr!« Der Posten zeigte hastig über die Palisade.
Eine Reihe von Helmen mit Helmbüschen tauchte jetzt aus dem Tal auf. Darüber flatterte ein purpurroter Wimpel.
»Der General selbst!« Der Posten stieß einen Pfiff aus.
Vespasians Herz wurde schwer. Der General hatte also seine Nachricht erhalten. Er wusste von der schrecklichen Gefahr, in der seine Familie schwebte. Vespasian dachte an seine eigene schwangere Frau und seinen kleinen Sohn
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