Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)
Frozen Shoulder (unbewegliches Schultergelenk nach Entzündungen, Verschleißerscheinungen, Stürzen und eben auch unsachgemäßer Bewegung).
»Ja, stimmt, die Beschwerden fingen an, als ich mit
Nordic Walking anfing, aber das kann doch nicht davon
kommen, das ist doch so gesund?«
»Wer sagt das?«
»Mein Arzt hat gesagt, ich soll das machen.«
»Und mit den Stöcken kamen die Beschwerden? Was sagt
Ihr Arzt dazu?«
»Er sagte: ‚Stellen Sie sich vor, wie schlimm Ihre Beschwerden wären, wenn Sie nichts machen würden.‘« Das ist die Logik, die mich die Wände hochtreibt: Schulter schmerzt nicht. Stöcke werden gekauft. Schnellkurs in Nordic Walking. Oder, noch schlimmer, einfach draufloslaufen, weil der Stockverkäufer meinte, das könne jede, jeder. Mit den Stöcken kommen die Schmerzen. Aber es kann unmöglich am Steifwandern mit Stöcken liegen, dass die Schultern nun schmerzen. Nein, nein, nein, das kann nicht sein.
Eine liebe Kollegin fiel auch auf den Trend herein. Lief dreimal in der Woche mit den Stöcken um die Häuser. Selbstverständlich gut angeleitet, sie zog die Stöcke eigentlich mehr hinter sich her, als dass sie die Dinger einsetzte, so sei’s richtig, leicht und locker.
Sie kam nach Zürich, weil sie unsägliche Schmerzen in den Schultern hatte – Schultern, die wie aus Bronze gegossen aussahen und sich auch so anfühlten.
»Nordic Walking?«
»Ja! Kannst du hellsehen?«
»Nein, ich kann kaputte Schultern lesen.«
»Nordic Walking ist gesund, jedenfalls viel gesünder als Joggen.«
»Wer sagt das?«
»Alle sagen das. Der Sport boomt wie kein anderer...«
Und so weiter.
Wir brachten wieder Bewegung in die Schultergelenke, dehnten Brustbein und Schlüsselbeine, lockerten all die filigranen Muskeln, die den Geniestreich Schultern und Arme ausmachen.
Sie ging nach Hause, walkte weiter nordisch, die Schmerzen und die Steifheit kamen zurück, wir holten wieder die Oberarmkugel aus dem Schulterdach, die Arme in die natürliche Verschraubung, machten die Brustwirbel beweglich, sie walkte sich wieder steif... Schließlich lernte sie die Lektion: Stöcke in den Keller, Schultern wieder entspannt und funktionstüchtig, Brustwirbelsäule wieder beweglich.
Wir brauchen keine Stöcke. Wir brauchen auch keine Spezialschuhe. Wir haben die Schwerkraft, sie trägt uns. Der Körperbauplan des Menschen ist für den Aufenthalt in der Schwerkraft geschaffen, aus dem einfachen Grund, weil wir uns für den aufrechten Gang in der Schwerkraft entwickelten. Unsere Evolution fand in diesem Medium statt, das uns auf diesem Planeten trägt. Wir sind sozusagen Kinder, Geschöpfe der Schwerkraft. Taufen Sie die physikalische Bezeichnung in Leichtkraft um, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie sich augenblicklich leichter tun mit dieser Kraft, leichter aufrichten, leichter bewegen. Stellen Sie einfach den Schalter um in Ihrem Gehirn. Schon verliert die Erdanziehung ihre Schwere, wird zur aktiven Unterstützerin unserer Aufrichtung. Das Fallen können Sie den Dingen überlassen, dem Apfel, dem Taschentuch und dem Butterbrot.
Ich wiederhole mich mit Absicht: Die Wirbelsäule ist perfekt konstruiert für den Aufenthalt in der Schwerkraft. Die Wirbelsäule hält uns aufrecht, ermöglicht uns perfektes Gehen im Kreuzgang, sie dreht uns, sie kann selbstverständlich auch Stöße dämpfen, wenn sie muss. Von Haus aus. Bei jedem gesunden Kleinkind.
Vor Kurzem brachten Sara und Karlheinz, zwei meiner Diplomschüler, ihre kleinen Kinder mit ins Studio, Hallo sagen, bevor das Training begann. Die Studioräume sind verspiegelt. Kinder lieben Spiegel, schlagen Purzelbäume, springen, hüpfen, schreien, lachen. Kind fällt hin, die wunderbar elastische Wirbelsäule macht, was gerade zu machen ist: dämpfen, puffern, federn. Kind steht auf, streckt sich, die Wirbel fließen in die Aufspannung, die Bandscheiben nehmen sich ihren Raum. Kind macht Handstand, fällt kopfüber, Wirbelsäule dreht sich, windet sich, krümmt sich, reckt sich, streckt sich.
Und was geschieht beim Erwachsenen mit seiner musterkonformen, schulbuchgeprüften S-Kurve? Er holt sich Bandscheibenschäden, Verrenkungen, Hexenschüsse, Ischiasnerventzündungen, er staucht und prellt und verrenkt sich – oder bricht sich gleich die Knochen. Also, wer um Himmels Willen kam auf die Idee, die Wirbelsäule müsse krumm sein, um Stöße abzudämpfen? Die Wirbelsäule eines gesunden Kinds hat die perfekte Form für alle Funktionen.
Noch mal: Kind
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