Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)
zu einem gewissen Punkt aufrüsten, sonst zahlen wir einen hohen Preis. In einer vollkommen durchkonstruierten Welt – einer Welt ohne Vergangenheit – würden uns viele Leiden erspart bleiben, von Hämorrhoiden bis zum Krebs.«
Von der Entstehung von Krebs verstehe ich nicht viel, aber wie Hämorrhoiden entstehen, das weiß ich und habe es Ihnen schon erklärt: durch selbst gemachte Überspannung in den Gesäß- und Schließmuskeln. Ich habe in den letzten Jahren absichtlich einen Bogen um Bücher gemacht, die ungemein schlüssig die Welt erklären, ohne Zweifel, scheinbar lücken- und fehlerlos. Nun ist Shubins Buch ein Leckerbissen: toll geschrieben, inspirierend, Ehrfurcht einflößend vor dem Wunder der Schöpfung. Und dann zieht er solche Schlüsse. Einer von uns muss vollkommen danebenliegen, er – oder ich. Denn ich behaupte: Wir Menschen sind für den aufrechten Gang perfekt ausgestattet. Shubins Knie ging nicht kaputt, weil er Rucksäcke herumtrug und auf Steinen herumkroch, sondern weil er falsch trug und unachtsam kroch. Knochen, Wirbelsäule, Gelenke, Muskulatur, Sehnen, Bänder sind perfekt herausgeformt für das aufrechte Leben in der Schwerkraft, die diese Aufrichtung erst ermöglicht.
Shubins Buch pfefferte mich in eine tagelange Schreibhemmung, die zweite während der Arbeit an diesem Buch. Es gab drei Möglichkeiten.
Möglichkeit eins: Ich kapituliere vor diesem Projekt, ziehe quasi die Schwanzflosse ein. Wenn preisgekrönte Forscher die Überzeugung nähren, wenn viele an Gleichem leiden, so sei das eben Pech, Pfusch der Evolution, dann hat meine Stimme keine Chance.
Möglichkeit zwei: Ich entschuldige mich bei meinen Leserinnen und Lesern – ich wisse, dass ich mit meiner Meinung gegen die herrschende Schulmeinung verstoße – und bitte sie in aller Bescheidenheit und Demut, meine konkreten Vorschläge auszuprobieren, anzunehmen, was funktioniert, und zu verwerfen, was der Körper (nicht der Kopf!) ablehnt.
Möglichkeit drei: Ich realisiere, wie neu, wie revolutionär, wie bahnbrechend meine logische Anatomie immer noch ist, obwohl sie mich seit 16 Jahren beschäftigt.
Sie wissen es schon, nach einer kurzen Depression kam nur Möglichkeit drei infrage: Vielleicht, wahrscheinlich waren wir mal Fische. Vielleicht, wahrscheinlich lässt sich das zentrale Konzept der Wirbelsäule und der Rippen auf das Fischskelett zurückführen. Vielleicht, wahrscheinlich waren die Schwimmflossen die Grundidee für Hand und Fuß. Vielleicht, wahrscheinlich waren die Kiemen die Matrix für unser Schluck- und Atemsystem.
Indes: Wir sind keine Fische mehr. Wir sind Menschen. Wirbelsäugetiere. Geschaffen in Millionen Jahren für 100 Jahre guten Lebens, mit der Schwerkraft und in Freundschaft mit ihr. Nur die Vögel sind noch besser angepasst. Das Leben im Wasser ist nicht einfacher als jenes an Land. Ich habe gesehen, wie die Lachse auf ihrer Heimreise in die Flüsse Alaskas gegen den Strom schwimmen müssen. Sie kommen so erschöpft und kraftlos an, dass ihnen nach der »Hochzeit« nur noch der Tod bleibt. Das, was uns das Leben schwer macht, sind die Glaubenssätze. Die Schwerkraft ist es nicht. Die könnten wir genauso gut Leichtkraft nennen, denn sie ist es, die uns die Aufrichtung ermöglicht, die Muskelkraft gibt.
Endlich. Auf zum neuen Körper. Die Skoliose muss weg
Rückblende. Nachdem die Idee, dass ich meine Skoliose nicht hatte, sondern selber unbewusst machte, mein Weltbild über den Haufen geworfen hatte, stellte sich mir die Frage: Wie kann ich sie bewusst, absichtlich, willentlich »un«-machen? Ich fragte herum, bei Therapeuten der Physis und der Psyche, bei Ärzten und Chiropraktikern, und erhielt die eine Antwort: »Geht nicht.« Also musste ich selbst Annahmen schaffen, an die ich mich halten konnte.
Die Annahme: Die Wirbelsäule ist so gemeint, wie sie ist. Die Konstruktion gilt und ist die beste, die es gibt. Zurück an den Anfang. Wie sieht die Wirbelsäule beim gesunden Neugeborenen aus? So gerade, dass ein Lot durch den Kern des Rückenmarks passt.
Das versuchte ich umzusetzen. Mit dem einfachen Prinzip von Zug und Gegenzug: Ziehe am unteren und am oberen Ende der Wirbelsäule, bis der Spinalkanal mit dem Rückenmark gerade verläuft, fertig. Und jetzt betrachte die Wirbelsäule: Wie sieht sie aus? Wie ist ihre Krümmung? Wie steht das Becken, wie steht der Brustkorb, wie steht der Kopf?
Anatomiebücher, Internet, Arztpraxen, Gespräche mit Fachleuten erbrachten immer
Weitere Kostenlose Bücher