Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)

wieder: Die Wirbelsäule muss eine S-Kurve bilden, nur so, quasi vorgeformt im S, kann sie als Stoßdämpfer wirken.
    Wieso hat dann jeder, absolut jeder Therapeut die untere Kurve meiner Wirbelsäule ein Hohlkreuz genannt, wenn die Kurve den Abbildungen in 98 Prozent der Schulbücher entsprach? Wieso behaupten in unseren Breitengraden acht von zehn Frauen, sie hätten eben ein Hohlkreuz, wenn es doch normal ist?
    Ich bog Hugo, mein Demonstrationsskelett. Ich bog Hugo vor und zurück, krümmte hier, drehte da. Hugo fiel auseinander. Ich schaffte Hugo II. an, bog ihn hin und her und zog ihn auseinander. Ich wusste zwar, dass mein Rücken nicht schmerzte, wenn ich ihn einfach von unten und oben behutsam lang zog, nichts nach hinten drückte, nichts nach vorne schob, sondern einfach nur die Länge suchte, eine uneingeschränkte Vertikale, die in meinen Wirbeln angelegt war. Ich spürte eindeutig, an mir und an den Menschen, die mir von Anfang an vertrauten und sich mir anvertrauten: Da waren Muskeln, die für diese Zugspannung geschaffen waren, die mich aufrecht hielten – die autochthonen Rückenmuskeln.
    Die Kurve, die Kurve, wie konnte ich erklären, wie sich die natürliche Krümmung ergab? Es gingen Monate ins Land. Ich wusste, dass ich recht hatte, nur wusste ich nicht, weshalb. Eines Nachts träumte ich die Lösung: Die Kurve der Wirbelsäule entstammt nur sehr marginal den eigentlichen Wirbelkörpern, zur Hauptsache wird sie von den unterschiedlich geformten Dornfortsätzen gebildet.
    Ich holte mich aus dem Traum (ja, das kann ich, jahrelang geübt), zog den Trenchcoat über, nachts um 03.10 Uhr, fuhr zum Studio, störte Hugo in seinem ewigen Plastikschlaf, bog ihn so gerade, dass ich ein Lot durch den Nukleus des Rückenmarks gebracht hätte und betrachtete ihn im Profil: Er bildete eine Kurve, das heißt, er tut es noch. Der Kopfträger (Atlas) versteckt seine Größe unter dem Schädel, bis zum siebten Halswirbel werden die Dornfortsätze dominanter, breiter, dicker, länger. Am Übergang zu den Brustwirbeln tritt der siebte Halswirbel prominent hervor, zusammen mit dem ersten Brustwirbel bildet er einen Knubbel. Dieser Knubbel fällt bei Menschen auf, die einen Rundrücken machen, oft versammeln sich die untätigen Muskeln darum herum wie kleine Fleischinseln. Der Volksmund nennt das »Witwenbuckel«. Die Brustwirbel bilden Fortsätze, die sich wie verkehrt herum hängende Handtuchhaken übereinanderschichten. Hier ist das Herzstück der Wirbelsäule. Diese Brustwirbel sind beweglich, möchten uns auf Schritt und Tritt schwungvoll begleiten, als Schaltzentrale des aufrechten Kreuzgangs. Sie leiten die Bewegungen, die von den Beckenhälften aus nach oben schwingen, weiter zu den Schultern, den Armen, dem Kopf. Gegen unten verjüngen sich die Brustwirbel, die Fortsätze werden kürzer und kleiner.
    Am Übergang von den Brustwirbeln zu den Lendenwirbeln sind die Knochenpuffer so klein, dass eben die Illusion einer Biegung der Wirbelsäule entsteht. Wird die Wirbelsäule an diesem Abschnitt nach hinten gedrückt, entsteht ein Flachrücken, meist mit schmerzhaften Folgen für die Kreuzbeingelenke, die Facettengelenke des Kreuzbeins und der untersten Lendenwirbel. Wird die Wirbelsäule auf dieser Höhe bauchwärts gezogen, entsteht eine Lordose, ein echtes Hohlkreuz. Das hat ebenfalls Auswirkungen, allerdings nicht so gravierende wie das so häufig absichtlich hergestellte und von einigen physiotherapeutischen Schulen empfohlene Gegenstück, der Flachrücken.

Weshalb sich die Nordic Walker mit ihren Stöcken die Schultern ruinieren
     
    Es ist einfach und leicht, Ihre Wirbelsäule glücklich zu machen: Aufspannen, Becken und Brustkorb ausrichten und in Ruhe lassen, und zwar in der ganz und gar einmaligen Ruhe, die eben für Ihren Rücken die richtige ist.
    Menschen mit beweglichen Brustwirbeln gehen beschwingt, leicht, haben einen anderen Gesichtsausdruck als die stocksteifen Oberkörpergeher. Mehr noch, mir fällt auf: Wenn Menschen die Beweglichkeit in ihrer Brustwirbelsäule verlieren, verliert ihr Körper die Geschmeidigkeit des Kreuzgangs, verliert er die Feinmotorik. Die Menschen wirken so schnell alt in ihren Gesten und Gebärden, in ihrem Gang und Ausdruck, man kann dabei zusehen.
    Und leider verleiht Nordic Walking diesem Schnellaltern einen enormen Schub. Die Nordic Walker kommen zu mir mit Schultern aus Beton, mit Morbus Sudeck an der Schulter (Steifheit und Gewebeschwund mit starken Schmerzen) und