Caylebs Plan - 6
Schlafgemach roch es nach Pulverdampf, und Sharleyan trat gerade von dem Fenster zurück; mit beiden Händen umklammerte sie eine Pistole.
Wie dichter Nebel hing schwerer Rauch in der Luft, nahm Seahamper fast die Sicht. Trotzdem vermochte er zu erkennen, dass der letzte der Fensterläden barst, als ein Mann sich dagegen warf und dann halb durch die Fensteröffnung in den Raum hineinhing. Der Angreifer erstarrte, als er geradewegs in die Mündung von Sharleyans Pistole blickte. Sie war weniger als drei Fuß von seinem Kopf entfernt. Da hatte Seahamper auch schon das Gefühl, jemand habe ihm mit zwei Vorschlaghämmern geradewegs auf beide Ohren geschlagen: Seine Kaiserin hatte den Abzug betätigt.
Der Rückstoß ließ sie einen halben Schritt zurücktaumeln, und der Hinterkopf des Angreifers zerbarst, als die massive Kugel ihm durch den Schädel fuhr. Umgeben von einer Wolke aus Blut, Gewebe und schneeweißen Knochensplittern stürzte er rücklings zu Boden. Kaiserin Sharleyan wandte sich Carlsyn Raiyz zu, um sich die nächste Waffe geben zu lassen. Doch auch der Priester war tot: Ein Armbrustbolzen steckte in seiner Brust, zu seinen Füßen bildete dickflüssiges Blut eine immer weiter anwachsende Pfütze.
Schmerz verzerrte Sharleyans Gesichtszüge, als sie ihn sah. Im selben Moment aber drängte sich auch schon Seahamper an ihr vorbei. Er kam gerade noch rechtzeitig. Ein weiterer Tempelgetreuer war durchs Fenster geklettert, blickte kurz auf, schrie und umklammerte mit beiden Händen die Brust, als Seahamper ihm sein Bajonett zwischen die Rippen stieß. Beim Versuch, das Bajonett wieder zu befreien, verrenkte sich der Gardist beinahe die Handgelenke. Aber er war schnell genug, und beim nächsten Stoß heulte ein weiterer Tempelgetreuer auf und ging zu Boden.
Hinter Seahamper griff Sharleyan in verzweifelter Hast nach der letzten geladenen Pistole. Schon machte sich ein weiterer Angreifer daran, durchs Fenster zu steigen, und Seahamper stieß einen heftigen Fluch aus. Wieder stieß er zu ... und dann, urplötzlich, waren keine Angreifer mehr da.
Merlin Athrawes hielt kurz inne und schaute zu, wie die Leiche an der Panzerstahlklinge hinabglitt. Plötzlich war er der Einzige, der im Hof des Klosters noch aufrecht stand.
Er blickte sich um, watete knietief durch Leichen, und dieses Mal war der Blick aus seinen Augen so hart wie die Verbundwerkstoffe, aus denen diese Augen gefertigt waren. Dieses Mal konnte Merlin es sich nicht leisten, jemanden am Leben zu lassen, der wilde Geschichten über diesen ›Seijin‹ verbreiten würde. Zweifellos hätte man die meisten dieser Geschichten als hoffnungslose Übertreibung abgetan, so wie es auch bei all den anderen Berichten über Merlins Taten gewesen war. Doch dieses Mal hätte allein schon die Aussage, Seijin Merlin sei in Sankt Agtha gewesen, voll und ganz ausgereicht. Die Anschuldigungen dämonischen Einflusses wären aufgekommen, die es um jeden Preis zu vermeiden galt. Ein halbes Dutzend verwundeter Tempelgetreuer hatte Merlin bereits ins Jenseits geschickt. So wenig ihm der Gedanke auch behagte, Männer erschlagen zu müssen, die sich nicht mehr wehren konnten: Dieses Mal war Merlin bereit, eine Ausnahme zu machen.
Es ist die Strafe, die auf Hochverrat steht - und ich habe sie in flagranti ertappt, dachte er rau, während er in einem Meer aus Blut und Leichen seine grausige Aufgabe erfüllte. Er achtete nicht auf das Flehen um Gnade, achtete nicht auf die Gebete und die Flüche, sondern konzentrierte sich ganz darauf, so rasch und sauber wie nur möglich den Tod zu bringen.
Und dann gab es im ganzen Klosterhof keinen einzigen Lebenden mehr. Doch das bedeutet nicht notwendigerweise, dass keiner der Angreifer mehr übrig ist, ging es ihm durch den Kopf. Für seine überlegene Sicht stellten der Regen und die Dunkelheit kein ernst zu nehmendes Hindernis dar, und so machte er rasch die beiden Männer aus, die noch vor dem Haupttor warteten.
Er stellte seine Optiken auf Zoom-Modus und schürzte die Lippen, als er sie erkannte.
Bischof Mylz Halcom blickte zu Ahlvyn Shumay, als die Rufe und Schreie und der Kampfeslärm abrupt endeten.
Der Blick des Bischofs war umschattet, seine Miene finster. Er litt darunter, dieses Blutbad angerichtet zu haben. Er hatte Blut vergießen lassen auf dem Gelände eines von Gottes Klöstern! Halcom hatte gedacht, er sei darauf gefasst gewesen, auf das Blut und den Tod. Er hatte sich getäuscht.
Bitte, Gott, betete er lautlos,
Weitere Kostenlose Bücher