Cedars Hollow (German Edition)
Droschke an mir vorbeifahren. Ich wusste, dass ich mich me i nen Eltern nicht mehr nähern durfte. Es wäre zu gefährlich für sie gewesen.
Mir war damals aber noch nicht klar, was aus mir geworden war. Von Vampiren hatte ich noch nie gehört. Bram Stokers Dracula fiel mir erst viel später in die Hände.“ Corvus lächelte kühl. „Also musste ich nachts in Bibliotheken einbrechen und recherchieren, und i r gendwann stieß ich auf einen Begriff: Vampyr. Als ich über die W e sen las, die in den Chroniken und rumänischen Geschichten b e schrieben wurden, begriff ich, warum mein Herz nicht mehr schlug, warum meine Hände kalt waren wie Eis und warum ich dem Tod näher war als dem L e ben. Ich war ein Vampir, tot und gleichzeitig lebendig. Ein u n toter Wiedergänger.“ Zum ersten Mal seit Beginn seiner Erzählung sah ich Corvus lächeln. „Du musst mich für ve r rückt halten.“
„Eigentlich nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Sollte ich?“ Tatsächlich war mir in den letzten Minuten nicht ein Mal der Geda n ke gekommen, wie fantastisch seine Geschic h te möglicherweise auf jemand anderen als mich gewirkt hätte.
Er gab ein trockenes Schnauben von sich. „Zumindest wäre es nur allzu verständlich.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass du nicht verrückt bist.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein? Ich weiß es doch selbst nicht.“
„Dann haben wir ja schon mal was gemeinsam. Aber wie ging es weiter?“
Offenbar irritiert von meinen Worten, runzelte er die Stirn. Schlie ß lich hatte er den Faden wiedergefunden und sprach we i ter.
„Ich verließ London ziemlich übereilt. Ich hatte nicht vor, je wieder zurückzukehren. Meinen Eltern schrieb ich einen Brief, in dem ich ihnen von meinen Plänen erzählte. Ich schrieb, dass sie sich keine Sorgen machen und auch nicht nach mir suchen sollten. Das war das letzte Mal, dass sie von mir hörten.
Sonst erzählte ich niemandem von meiner Abreise. Sollten sie mich doch alle für tot halten, mir war das lieber so. Um unerkannt zu ble i ben, legte ich den Namen, auf den ich getauft wurde, ab. Ich verließ London wenige Wochen nach meiner Verwan d lung und reiste durch die Gegend wie ein Landstreicher. Ich trank nur selten von einigen Reisenden. Und immer wieder stellte ich mir die Frage, ob ich, o b wohl ich nicht tot war, ta t sächlich noch lebte.
Schließlich fand ich diesen Ort, kaum mehr als ein Dorf. Cedars Hollow. Hier konnte ich bleiben, ohne Angst davor haben zu mü s sen, entdeckt zu werden. Ich war weit genug von London en t fernt. Offenbar war ich aber nicht der einzige Vampir, der die Idee hatte, hierher zu kommen.“
Corvus’ Mund umspielte ein leises Lächeln. Es gelang mir nicht, z u rückzulächeln, denn der Gedanke, dass er seine Freu n de und Familie und alle Menschen, die ihm etwas bedeutet ha t ten, hatte zurücklassen müssen, war noch zu präsent und spukte quälend durch mein Hirn. Ich wünschte, die Zeit zurückdrehen und irgendetwas für ihn tun zu können. Der Gedanke war dumm, das wusste ich. Wie hätte ich ihm helfen sollen?
„Nach und nach begegnete ich Raphael, Baltazar, Damon und Svarog“, erzählte Corvus weiter. „Wir taten uns zusammen, haup t sächlich, weil wir Gesellschaft suchten und uns in der Gruppe wohler fühlten. Im Gegensatz zu anderen Vampiren schworen wir uns, ni e mals Menschen zu töten. Doch irgendwann bemerkten Damon, Baltazar, Raphael und ich, dass Svarog das wenige Blut, das er trinken durfte, nicht ausreichte. Er tötete Menschen wegen ihres Blutes. O b wohl wir ihn mehrmals warnten, hielt er sich nicht an unsere Grun d regel. De s halb haben wir ihn verstoßen, das ist noch nicht besonders lange her.“
Corvus verstummte, und ich hatte das Bedürfnis, seine Hand zu nehmen. In Corvus’ Erzählung klang der Schmerz über den Verrat und Verlust eines Freundes mit. Ich fragte mich, was Svarog für B e weggründe gehabt haben konnte, sich mir als ein Freund zu präse n tieren. Und vor allem, was für einen Plan er hatte.
„Soll das heißen, dass Svarog sich für seinen Ausschluss aus der Gruppe rächen möchte?“, fragte ich.
„So könnte man es wohl nennen. Er ist nicht bereit, aus Cedars Hollow zu verschwinden. Stattdessen will er kämpfen. Er ist unber e chenbar geworden und wütend auf mich, weil ich es ihm so schwer mache, dich zu töten.“
Ich brauchte eine Weile, bis ich das verarbeitet hatte. Die ganze Zeit über spürte ich Corvus’ Blick auf mir, aber
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